Das Bernsteinzimmer
Regen auf Praskowja zu. Wachter folgte ihm, der Schlamm spritzte an seiner Hose empor, an seinen Schuhen klebten sofort dicke Lehmklumpen. Stumm blickte der Fahrer zu Dr. Wollters an seiner Seite.
»O Scheiße«, sagte der Rittmeister resignierend. Dann stieß auch er seine Tür auf, sprang hinaus und rannte zu dem Bauernhaus. Praskowja Nikolajewna, die schon so viel von den Deutschen wußte, um feststellen zu können, daß da ein höherer Offizier durch den Schlamm hüpfte, riß den Kartoffelsack vom Kopf und warf ihn Wollters über die Schulter. Mit einer wilden Handbewegung schleuderte er ihn in den Regen und den Dreck.
»Haben Sie das gesehen?« rief er empört, als er in die Stube kam, wo Dr. Runnefeldt und Wachter bereits auf Großvater Trofim geprallt waren. »Diese widerliche Vettel wirft mir doch ihren Stinksack an den Kopf!« Dann schwieg er abrupt, denn Großväterchen sagte klar und deutlich:
»Gutten Tagg … Nix nähme Lotterie …«
»Was will er?« Wollters musterte den rüstigen Alten. »Total verkalkt, was?«
»Lassen Sie mich das machen.« Wachter nickte dem Großvater zu und sprach dann schnell einige Sätze auf russisch. Trofim riß die Äuglein auf, beleckte mit der Zunge seine tabakgelben Zähne und hörte stumm zu. Gefährlich, dachte er. Oh, wie gefährlich. Da ist einer, der spricht wie wir. Ein abtrünniger Genosse, der den Deutschen in den Arsch gekrochen ist. Vorsichtig muß man sein bei solchen Gewissenlosen.
»Wir sind auf der Durchfahrt«, hatte Wachter gesagt. »Wir wollen hier eine Weile bleiben, bis der stärkste Regen vorbei ist. Hast du was zum Essen da? Eine Kascha oder sonstwas? Eingelegte rote Rüben oder Gurken oder ein Töpfchen Schmalz? Gibt es bei dir Milch?«
Großväterchen wölbte die Unterlippe vor, so wie es Lamas tun, bevor sie spucken, aber er spuckte nicht, auf keinen Fall, man wollte ja noch weiterleben und warten, bis Ilja, das liebe Söhnchen aus dem Krieg zurückkam.
»Alles hat man uns weggenommen, alles«, sagte er, als Wachter schwieg. »Mein Schweinchen, mein Kälbchen, das Butterfaß, das Mehl, die Grütze, alles. Bezahlt haben Sie, deine neuen Freunde … mit wertlosem Papier.«
»Und wovon lebt ihr?« fragte Wachter.
»Ein paar Kartoffeln haben wir noch. Ein Süppchen, ein paar Zwiebeln … genug ist das. Schwer sind die Zeiten.«
»Was quatscht der Alte da?« fragte Dr. Wollters. Er zog seine durchnäßte Uniformjacke aus, ging zu dem aus Flußsteinen gemauerten Ofen und hing sie über eine gespannte Leine. Der Ofen gluckerte und war schön warm. Ich sage es doch, dachte Wachter zufrieden. Der Winter kommt diesmal schneller. Sie kennen ihre Natur genau, die Bauern, frühzeitig heizen sie ihre Öfen an, gut vollgesogen mit Wärme sollen die Steine sein, bevor der erste kalte Sturm kommt.
Großväterchen Trofim starrte den deutschen Offizier entgeistert an. Wollters hielt seine Hosen mit Hosenträgern fest … breite, in buntem Muster gewebte, stabile Träger mit ledernen Schlaufen. Hatte man so etwas schon gesehen? So etwas gab es? Trofim konnte den Blick nicht von diesen Hosenträgern losreißen und verfluchte die Unmöglichkeit, sie nicht gegen ein Hühnchen eintauschen zu können.
Noch sieben Hühner hatte er im Stall versteckt und bisher vor allen Deutschen gerettet. Welch ein Wunderwerk von Hosenträgern …
»Ein paar Krümelchen werd ich noch zusammenkratzen«, sagte Trofim und ließ die Augen nicht von Wollters. Der hatte sich auf die Ofenbank gesetzt, lehnte den nassen Rücken gegen die warmen Steine und wunderte sich, daß es hier im Raum weder nach Schweiß noch nach saurer Milch roch. Praskowja stand an der Tür und wartete. Die Kinder hatten sich im Nebenraum versteckt, wo ein mit Stroh hoch gefülltes mächtiges Holzbett stand. Hier mummelte sich Großväterchen ein – so rüstig war er mit seinem Rheuma nun doch nicht, um noch auf den Ofen klettern zu können, auf die Plattform, auf der die ganze Familie im Winter schlief.
Wachter nickte zufrieden. »Guck in alle Ecken, Väterchen«, sagte er. »Es wird sich schon was finden.«
Trofim riß sich von den Hosenträgern los, schnalzte mit der Zunge und rieb mit der Oberlippe seine Nasenspitze. »Kann man tauschen?« fragte er und blinzelte Wachter zu.
»Was?« fragte Wachter verwundert.
»Gutes Essen gegen eine Leihgabe. Nur ein Viertelstündchen, das genügt. Ist ein guter Tausch, Genosse. Was ist schon ein Viertelstündchen im Leben eines Menschen. Mich wird's fröhlich
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