Das Bernsteinzimmer
»Wir müssen weiter. Wir können hier nicht Wurzeln schlagen. Ab und durch den Regen durch … wir sind ja nicht aus Zucker. Hinter der Düna, in Litauen, wird es besser. Da haben wir vernünftige Straßen.« Er wandte sich an die Landser und klatschte in die Hände. »Leute, es geht weiter! Wir kapitulieren doch nicht vor russischen Straßen! In Königsberg könnt ihr euch dann ausruhen …«
Als letzte verließen Wollters und Dr. Runnefeldt das Bauernhaus. Wachter saß schon hinten im Adler, der Fahrer hatte in die Verdeckritzen Streifen aus zerschnittenen Kartoffelsäcken gestopft.
»Wollen wir jetzt tauschen?« fragte Dr. Runnefeldt. »Sie hinten, ich vorn?«
»Nein!« antwortete Wollters stur.
»Dann Wachter nach vorn …«
»Ich bleibe auf meinem Platz!« Wollters zog den Kopf tief zwischen die Schultern und rannte los, riß die Wagentür auf und ließ sich auf den Sitz fallen. Dr. Runnefeldt gab Trofim die Hand. Der Alte war darüber so verblüfft, daß sich seine Hand anfühlte wie ein schlaffer Lappen.
»Mach's gut, Opa«, sagte Dr. Runnefeldt. Dabei wehrte er Praskowja ab, die unbedingt seine andere Hand küssen wollte. Wie gut war man heute weggekommen! Keine Hausdurchsuchung, keine Beschlagnahmung, nur Lydia hatte dran glauben müssen, ein kleiner Preis für die Güte der deutschen Offiziere. Und Großväterchen hatte sogar die Hosenträger anziehen dürfen. Welch ein Erlebnis. Muß man da nicht danken auf die gute, alte Art? »Und paß auf deine Ikone auf … 16. Jahrhundert, damit kannst du nach dem Krieg ein neues Haus bauen!«
Trofim verstand ihn natürlich nicht, aber am Klang der Stimme ahnte er, daß ihm etwas Gutes gesagt wurde. Er nickte vorsorglich, begleitete Dr. Runnefeldt bis zur Eingangstür und blickte dann lange der Wagenkolonne nach, die sich langsam durch den Regen auf die Straßen quälte.
An diesem Tag trug der schriftführende Offizier in das Kriegstagebuch des 50. Armeekorps ein:
16.10. Krasnogwardejsk:
Rittmeister Dr. Wollters und Sonderführer Dr. Runnefeldt verlassen nach Abschluß ihrer Tätigkeit (Sicherstellung von Kunstgegenständen) den Stab Gen. Kdo . L. A. K. …
Einer der größten Kunstraube der Geschichte war damit dokumentiert.
Zwei Tage und zwei Nächte waren sie unterwegs: 930 Kilometer durch Regen, Schlamm, zähen Lehm und klebenden Morast. In Kauen mußten drei Lkws in die Werkstatt, nachdem man sie mühsam mit Abschleppseilen mitgezogen hatte. Der Werkstattleiter der 3. Nachschubkompanie, ein Oberfeldwebel, stellte zwei Federbrüche, einen Getriebeschaden und eine angeknackste Achse fest und meldete dann: »Reparatur wird drei Tage dauern. Dazu müssen die Lkws entladen werden.«
»Die Reparatur wird drei Stunden dauern!« hatte Dr. Wollters gebrüllt. »Und nicht ein Staubkorn wird entladen. Das wollen wir doch mal sehen!«
Hier erwies sich, daß ein Rittmeister mehr Autorität ausstrahlte als ein Sonderführer, ein Schmalspur-Offizier. Wollters ließ sich bei dem Kommandeur des Nachschub-Bataillons melden, legte diesem – einem Hauptmann – seine Legitimation vor und wartete die Reaktion ab. Der Hauptmann brauchte reichlich viel Zeit, das Schreiben zu lesen.
»Im Führer-Auftrag!« sagte Wollters schnarrend. »Drei Tage Warten sind ein Wahnsinn. Im Führerhauptquartier wartet man auf meine Vollzugsmeldung. Soll ich melden: In Kauen bin ich an lahme Ärsche geraten?«
Der Hauptmann gab das Schreiben zurück und sah Wollters verkniffen an. Du aufgeblasener Affe, dachte er. Auch der Führer kann keine Achse hopp-hopp unter einem vollbeladenen Lkw wechseln. »Wir werden unser Bestes tun«, sagte er kühl. »Wir werden die Nacht durcharbeiten.«
»Das habe ich auch angenommen.«
Wollters grüßte und verließ die Bataillonsgeschäftsstelle wie ein Sieger. In der Werkstatt wußte man schon durch das Telefon Bescheid. Man war gerade dabei, den ersten Wagen aufzubocken. Julius Paschke, voll Sorge um Jana, wieselte um Dr. Runnefeldt herum und redete auf ihn ein.
»Die anderen 15 Wagen können doch weiterfahren nach Königsberg!« sagte er. »Oder – noch besser – Sie fahren mit 14 Wagen nach Königsberg, Herr Sonderführer, und ick bleibe mit meinem Fahrzeug hier und komme dann mit den anderen drei nach. Da kann gar nichts passieren.« Er blickte Dr. Runnefeldt treuherzig in die Augen: »Det vaspreche ick Sie …« fiel er in seinen Dialekt zurück.
»Wir bleiben zusammen, Paschke.« Dr. Runnefeldt schüttelte den Kopf. »Auf einen Tag mehr oder
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