Das Bernsteinzimmer
zerfetzter Leiber.
Dr. Phillip wartete auf die neue hübsche Schwester, hatte in seinem Arztzimmer einen starken Kaffee gebraut, mit Schokolade überzogene Kekse bereitgestellt und eine Flasche Danziger Goldwasser aus dem Bücherschrank geholt. Die besten Erfahrungen hatte er damit gemacht … Kaffee, Schokoladenkekse und Danziger Goldwasser, das schien eine Mischung zu sein, die bei den Mädchen nicht nur die Herzen öffnete …
Er wartete eine Stunde, machte durch die Station II eine Runde und besuchte drei schwierige Fälle, kniff Schwester Angelika beim Vorübergehen in den Hintern und rief dann ungeduldig in der Verwaltung an. Der Rothaarige – Hausapparat 009 – war baß erstaunt.
»Was? Sie ist noch nicht bei Ihnen?« sagte er. »Das verstehe ich nicht. Vielleicht hat sie sich verlaufen.«
»Eine Stunde lang?«
»Fragen Sie doch mal bei Frieda nach, Dr. Phillip.«
»Darauf kann ich gut verzichten. Wecken Sie einen schlafenden Löwen?«
»Nee.«
Dr. Phillip ließ noch eine Stunde verstreichen, fand das alles äußerst merkwürdig und rätselhaft und entdeckte in sich den Mut eines Helden: Er verließ die Chirurgie und machte sich auf den Weg zur Verwaltung und zu Oberschwester Frieda Wilhelmi. Fragen durfte man ja schließlich, wo die neue Mitarbeiterin blieb.
Der Rothaarige im Büro wußte gar nichts, hatte die hübsche Schwester nicht wiedergesehen und fand das Verschwinden auch sehr merkwürdig.
»Vielleicht hat die Kleine doch nicht die Klippe Frieda umschiffen können«, meinte er vorsichtig. »Da genügt nur ein dummer Satz, und schon ist der Ofen aus.«
»Ist das nicht eine Schande für uns alle, daß wir uns das gefallen lassen?!«
»Ändern Sie's mal, Herr Doktor.« Der Rothaarige grinste verlegen. »Machen Sie mal einen Versuch. Damals in Frankreich, wenn die Panzer angriffen, da hab ich im Graben gestanden und keine Angst gehabt, da hab ich gewartet, bis ich im toten Winkel war, und dann raus aus'm Graben, die Hafthohlladung an den Panzerturm geklebt, abgezogen und wieder in Deckung, und dann flog der Turm weg … aber wenn Frieda dort durch die Tür kommt, bekomme ich Herzklopfen.«
Dr. Phillip befahl sich, kein Feigling zu sein, ging hinüber zu den Räumen der Oberschwester, klopfte an die Tür und trat ein. Frieda Wilhelmi thronte hinter ihrem Schreibtisch, las in einem Aktenstück und warf einen durchdringenden Blick auf den Arzt. Am Schreibmaschinentisch saß eine junge, schwarzhaarige Rote-Kreuz-Schwester und schrieb mit zwei Fingern aus der Kladde etwas ab.
Das muß sie sein, dachte Dr. Phillip sofort. Genau, wie Robert sie geschildert hatte. Das Hübscheste, was ich seit langem gesehen habe. Ein Juwel von Mädchen. Was macht es hier bei Frieda an der Schreibmaschine? Sein Jungengesicht unter den blonden Locken glänzte. Siegfried, der strahlende Held, kam furchtlos näher.
»Was ist los?« fragte Frieda Wilhelmi und klappte die Akte zu.
Erstaunt blickte Jana Petrowna hoch. Die Stimme hatte sich völlig verändert, der warme, mütterliche Ton hatte sich in eine kalte, durchdringende Trompete verwandelt. Dr. Phillip schien nur diesen Ton gewöhnt zu sein. Er blieb stehen.
»Oberschwester, man hat der Chirurgie eine neue Mitarbeiterin angekündigt. Sie hat sich noch nicht gemeldet. Ist irgend etwas nicht in Ordnung?« fragte er.
»Ich habe umdisponiert. Das ist alles.«
»Es wäre gut, wenn das auch die Chirurgie erfahren würde.«
»Ist Stabsarzt Dr. Pankratz schon da?«
»Nein.«
»Dann halten Sie den Mund!« Das klang wie ein Kanonenschuß. Dr. Phillip empfand es wie eine schallende Ohrfeige. Die hübsche kleine Schwester blickte von ihrer Schreibmaschine auf. Nur eine Sekunde lang kreuzten sich ihre Blicke. Aber es reichte aus, um in Dr. Phillip ein Kribbeln zu erzeugen. »Ich werde dem Chef berichten.«
»Oberschwester Frieda –«
»Was wollen Sie noch?!«
Jedes Wort war ein Schlag. Jeder Ton traf Dr. Phillip geradezu schmerzhaft. Er wollte ebenso scharf antworten, aber was hätte das bewirkt? Gegen diese Masse Machtbewußtsein kam niemand an. Selbst Dr. Pankratz hatte es zu Anfang seiner Tätigkeit versucht, mit dem Ergebnis, daß Frieda Wilhelmi die Chirurgie übersah und zugunsten der Inneren und der Gynäkologie Schwestern abzog und jeden Protest kalt von sich wegschob. Das ging so lange, bis Dr. Pankratz zu Frieda kam und sich mit gewundenen Sätzen, die nicht gleich wie eine Entschuldigung klingen sollten, entschuldigte. Frieda nahm die versteckte
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