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Das Bernsteinzimmer

Das Bernsteinzimmer

Titel: Das Bernsteinzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Handbewegung durch den noch leeren Saal. »Sollen wir in Zukunft alle Lücken mit ausstellen?«
    »Der Gauleiter muß helfen«, sagte Dr. Runnefeldt gepreßt.
    »Ja, der Gauleiter.« Wachter nickte hoffnungsvoll. »Jetzt kann er zeigen, ob er wirklich so mächtig ist, wie man sagt.«
    »Ist denn keiner hier, der diesen Kerl zur Ordnung ruft?« schrie Wollters empört. »Jetzt kritisiert er auch noch den Gauleiter! Mann, das alles ist nur Ihre Schuld! Sie hatten den Auftrag, das Bernsteinzimmer zu überwachen, seit 225 Jahren, wie Sie immer betonen! Sie hätten das Fehlen bemerken müssen! Wozu sind Sie sonst da?!«
    Wie immer, wenn sich hohe Herren in die Enge getrieben fühlen, schuld haben immer die Untergebenen. Auf eine elegante und fast immer sichere Art schieben sie den anderen, den Wehrlosen, die Schuld zu. Was die Beschuldigten auch beteuern, es hat kein Gewicht. Bevor der eigene Kopf rollt, müssen erst andere den ihrigen hinhalten. Das Opferlamm wird nie aussterben. Aber Michael Wachter war kein solches Opfertier. Mit einem Satz brachte er den Rittmeister von seinem hohen Roß herunter.
    »Wie konnte ich das?« sagte Wachter ohne Erregung und hob dabei bedauernd die Schultern. »Sie haben mich während des Abbaus genau zehnmal aus dem Bernsteinzimmer hinausgeworfen, Herr Rittmeister. Ich konnte meiner Aufgabe ja gar nicht mehr nachgehen –«
    »Aha!« bemerkte Dr. Findling nur. Mehr nicht, aber es genügte, um Wollters erneut explodieren zu lassen. Er streckte den Körper, richtete sich auf den Stiefelspitzen auf und schleuderte einen vernichtenden Blick auf Dr. Findling.
    »Ihre Anmerkung war völlig überflüssig!« brüllte er. »Ich übernehme die Verantwortung für alles, was in Puschkin geschehen ist! Genügt das?!«
    »Im Prinzip ja.« Dr. Findling schüttelte den Kopf, was eigentlich dem Ja widersprach, es sogar, genaugenommen, aufhob. »Aber davon habe ich noch nicht meine Türen und die Wandfriese wieder …«
    Unterdessen war es auf der Treppe zu einer verhängnisvollen Begegnung gekommen: die herabsteigende Jana Petrowna stieß auf den hinaufeilenden Gauleiter Koch. Sie kannte ihn nicht, aber die goldbetreßte Uniform und die Personenbeschreibung, die man ihr von Koch gegeben hatte, paßten genau: mittelgroßer Mann, stämmig, Augen, die alles abschätzend musterten mit einem kalten Blick, über der Oberlippe ein kurzgehaltener, kleiner Schnurrbart, eine Nase mit breiten Nasenflügeln, eine Uniform, die vor allem dadurch auffiel, daß sie besonders breite, ausladende Breeches besaß, die an den Oberschenkeln wie Flügel aussahen, eine überdimensionale Reithose also, die der kleinen Gestalt mehr Gewicht verlieh. Er muß es sein, dachte Jana Petrowna blitzartig. Kein anderer könnte dieser Beschreibung so entsprechen.
    Wie alle körperlich etwas zu kurz Geratenen war auch Koch immer und überall bestrebt, dieses Manko durch Machtfülle, Forschheit, einen barschen Befehlston und eine unerträgliche Rechthaberei auszugleichen.
    Gauleiter Erich Koch verlor und kapitulierte nie. Seine entsetzlichen, gnadenlosen, vernichtenden Mittel heiligten sein übersteigertes Selbstbewußtsein und schmeichelten seinem schon paranoischen Drang, immer der Größte, der Unangreifbare, der Rechthabende zu sein. In seiner Nähe fror man nicht … man hatte einfach nackte Angst – und das war für Koch der Gipfel seines Lebens.
    Jana und Koch blieben ruckartig auf den Treppenstufen stehen und sahen sich an. Der Gauleiter, zu allem Überfluß noch zwei Stufen tiefer als Jana und damit zusätzlich benachteiligt, denn es ist immer besser, auf etwas hinabzusehen als hinaufzublicken, glich diese Situation auf gewohnte Art aus.
    »Ja, wer ist denn das?!« rief Koch. Ehrliche Begeisterung lag in seiner Stimme. Mit unverschämten Blicken musterte er Jana Petrowna, als stünde sie nackt vor ihm, tastete ihren Körper ab, von den schlanken Beinen bis zu den schwarzen Locken, glitten dann zurück zu ihren Brüsten, die auch in der Schwesterntracht auffielen, und blieben an ihnen hängen. »Welch ein wunderschönes Schwesterchen kommt da ins Schloß! Wer ist hier krank? Wer braucht Ihre Hilfe? Was den Patienten auch quält … jetzt muß er eine neue Krankheit bekommen haben: Blutsausen und Herzklopfen!«
    »Es war ein Fehlalarm, Herr Gauleiter. Niemand ist hier krank.«
    »Sie kennen mich?« fragte Koch kokett, obwohl er sicher war, daß ihn in Ostpreußen jeder kannte. Das konnten andere Gauleiter nicht vorweisen, weder

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