Das Beste aus 40 Jahren
verdient.
„Aber das ist ja grauenhaft!“ Dianne breitete die Hände aus. „Wann – wann war das?“
Wieder zuckte Louise mit den Achseln. „Kurz nach deiner Abreise, glaube ich. Warum? Ist das irgendwie von Bedeutung?“
„Findest du nicht?“, fragte Dianne entsetzt.
Louise spielte mit den Zügeln. „Yvonne hat nur bekommen, was sie verdiente. Sie hat es geradezu herausgefordert“, sagte sie kalt. „Sie war wütend auf Manoel und dachte, sie könnte ihn ärgern, indem sie seine Stiere reizte.“ Sie hob die Schultern und ließ sie wieder fallen. „Keiner darf mit den Stieren spielen.“
Dianne zupfte an einer Haarsträhne, die sich aus ihrem Knoten gelöst hatte. Kein Wunder, dass Manoel um so vieles älter und reifer aussah. Was für eine schreckliche Zeit musste das für ihn gewesen sein!
Jetzt legte Louise leicht die Hand auf ihren Arm. „Es ist schön, dich wiederzusehen, Dianne. Ich meine das ernst. Aber warum wolltest du Manoel sehen? Ich dachte – wir dachten –“ Sie hielt unvermittelt inne und biss sich auf die Lippen. „Bleibst du lang in der Camargue?“
Zerstreut spielte Dianne mit dem Griff der Wagentür. „Ich – ich weiß nicht, Louise. Es – es hängt von verschiedenen Dingen ab.“
Louise seufzte. „Bist du nur hier, um mit Manoel zu sprechen?“
Dianne zögerte und nickte dann. „Ja. Wo ist er?“
„Er ist heute früh in die Weingärten gefahren“, antwortete Louise und runzelte die Stirn. Sie starrte Dianne lange nachdenklich an. „Was ist gestern Abend vorgefallen?“
„Wie meinst du das?“ Dianne tat so, als verstehe sie nicht.
„Zwischen dir und meinem Bruder! Dianne, du weißt ganz genau, was ich meine. Er war in einer fürchterlichen Laune, als er nach Hause kam. Nicht einmal Yvonne wagte, ihn zu fragen, was geschehen war. Nur ich erriet, dass ihr euch gestritten haben müsst.“
Dianne verzog das Gesicht. „Ich muss jetzt wieder los, Louise“, sagte sie ausweichend. „Wenn Manoel nicht hier ist, hat es keinen Sinn – ich meine, dann habe ich keinen Grund, zum Mas hinauszufahren.“
„Und Großmutter? Soll ich ihr sagen, dass ich dich gesehen habe?“
Dianne glitt auf den Fahrersitz. „Ich kann es dir natürlich nicht verbieten“, sagte sie. „Aber vielleicht wäre es unter diesen Umständen besser, wenn du nichts sagtest. Ich möchte nicht, dass sie – dass sie sich kränkt.“
„Oh Dianne!“, rief Louise unbeherrscht und stützte sich auf die Motorhaube des Wagens. „Warum tust du so geheimnisvoll? Warum bist du nach so langer Zeit wiedergekommen? Du musstest doch wissen, was es für Manoel bedeutet, dich wiederzusehen – jetzt wiederzusehen!“
Dianne ließ den Motor an. „Es tut mir leid, Louise. Es tut mir leid, dass du glaubst, ich täte geheimnisvoll. Und ich hätte Gemma sehr gern wiedergesehen.“ Ihre Stimme versagte, und sie musste schlucken. „Leb wohl.“
„Auf Wiedersehen, Dianne.“ Louise richtete sich auf und lief noch ein paar Schritte neben dem anfahrenden Wagen her. „Darf ich dich, bevor du abreist, noch einmal im Hotel besuchen?“
Diannes Finger schlossen sich fester um das Steuer. „Ich glaube nicht, dass das eine sehr gute Idee wäre“, sagte sie. „Au revoir – auf Wiedersehen.“
Louise winkte ihr nach, und Dianne fuhr im Rückwärtsgang bis zu einem breiteren Straßenstück, wo sie wenden konnte. Dann fuhr sie rasch davon. Der Kloß, der ihr im Hals steckte, schnürte ihr fast die Luft ab.
Am Abend ging Dianne nach dem Essen in ihr Zimmer hinauf, um an Clarry zu schreiben. Sie musste etwas tun, irgendetwas Normales, das wenig mit dem Mas St. Salvador und ihren unglücklichen Erinnerungen zu tun hatte.
Den ganzen Tag hatte sie über Yvonnes schrecklichen Unfall nachgedacht, so lange, bis ihr der Kopf schmerzte, weil sie es einfach nicht fertigbrachte, die Gefühle der anderen nachzuempfinden. Wie entsetzlich, dachte sie, gelähmt zu sein, und womöglich für das ganze Leben!
Sie vergaß, wie boshaft Yvonne früher gewesen war. Sie erinnerte sich nur noch daran, wie hervorragend sie zu Pferde gesessen hatte und wie blühend gesund sie gewesen war. Und all das war in einigen wenigen leichtsinnigen Augenblicken dahin, für immer zerstört. Und Yvonne war nicht der Mensch, ein solches Schicksal hinzunehmen, ohne sich unaufhörlich dagegen aufzulehnen.
Dianne holte Füllfeder und Papier heraus, schickte sich jedoch nicht an zu schreiben. Ungebeten kehrten die Gedanken an Manoel wieder. Wie
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