Das Beste aus 40 Jahren
hoffnungslos seine Lage war! Er war ein so lebhafter Mann, so kraftvoll und vital! Machte Yvonne ihn zur Zielscheibe ihres machtlosen Zorns? Wirkte er deshalb so angespannt, müde und erschöpft, dass ihr bei seinem Anblick das Herz wehgetan hatte?
Sie stützte das Kinn in die Hände und blinzelte die Tränen fort, die ihr in den Augen brannten. Sie hätte nicht hierherkommen dürfen. Sie hätte sich von Clarry nicht einreden lassen dürfen, dass sie es Jonathan schuldig sei, Manoel um Geld zu bitten. Sie würde nur mit leeren Händen und wehem Herzen wieder abreisen und schlimmer leiden als vorher, weil sie jetzt wusste, was hier inzwischen geschehen war.
Ihre gespannten Lippen wurden weich. Wenn nur alles anders gekommen wäre, dachte sie verzweifelt. Wenn sie und Manoel nur nicht getrennt worden wären! Gewiss hatte auch ihm das, was sie miteinander erlebten, etwas bedeutet. Sie schienen unlösbar miteinander verbunden und waren doch so schnell auseinandergerissen worden. Sogar noch jetzt schmerzte die Erinnerung an die Trennung wie eine frische Wunde, brannte umso heftiger, seit sie wusste, was nachher geschehen war.
Und Gemma, diese unbezähmbare, alte Frau mit ihrem unerschöpflichen Vorrat an Aberglauben und religiösen Überzeugungen, auch sie hatte an allem teilgehabt, hatte sie ermutigt, sich zu nehmen, was ihnen gehörte, und sie beide nach einem Ritus miteinander verbunden, der zurückreichte bis zum Ursprung der weißen Pferde der Camargue.
Doch sie hatten das Glück nur einmal ausgekostet – ein zweites Mal hatte es nicht gegeben. Dianne vergrub ihr Gesicht in den Händen. Das Leben war so schrecklich unfair. Wenn man glaubte, man könnte nach den Sternen greifen und in den Himmel schauen, wurde man so unbarmherzig wieder zur Erde zurückgerissen, dass man um die eigene Seele bangen musste.
Mit einem tiefen Atemzug stand Dianne auf und trat ans Fenster, das auf den kleinen, stillen Platz hinausblickte. Die Sonne stand schon über den Dächern, die Schatten wurden länger, doch die Luft war einladend mild. Dianne spürte plötzlich das Verlangen, das Hotel und die Enge ihres Zimmers von sich abzuschütteln wie ein dunkles, schweres Gewand, das ihre Bewegungsfreiheit lähmte.
Aus einem Impuls heraus lief sie aus dem Zimmer, die Treppe hinunter und hinaus in die kühle Abendluft. Sie trug ein Kleid aus auberginefarbenem Jersey, das die violetten Schatten um ihre Augen betonte. Es war ein langes Kleid, das Clarry ihr an einem einzigen Abend für eine Weihnachtsparty genäht hatte, zu der Dianne eingeladen gewesen war. Sinnlos zu sagen, dass sie dann nachher nicht zu der Party ging. Doch das Kleid war für Abende wie diesen geradezu geschaffen.
Vor dem Hotel zögerte sie, weil sie nicht wusste, welche Richtung sie einschlagen sollte. Nur wenige Leute waren noch unterwegs, alle zu zweit oder zu dritt, einzig sie war allein. Sie begann, auf die Hauptstraße zuzugehen, weil sie auf einmal Lust hatte, in einem der Straßencafés noch eine Tasse Kaffee zu trinken. Inmitten der Menge würde sie weniger auffallen und sich vielleicht weniger einsam fühlen.
Ein Auto fuhr langsam neben ihr her. Aus den Fenstern hingen zwei junge Burschen, die ihr etwas zuriefen, sie nach ihrem Namen fragten und wissen wollten, wohin sie ging. Sie luden sie ein, zu ihnen in den Wagen zu steigen, und beschimpften sie, als sie nicht reagierte, bis sie vor Ärger und Verlegenheit rot wurde.
Dann hielt der Wagen plötzlich, einer der jungen Burschen sprang heraus und stellte sich ihr in den Weg.
„Ah, Mademoiselle, chère Mademoiselle“, flötete er, „wollen Sie nicht mit mir und meinen Freunden mitfahren –“
„Gehen Sie mir bitte aus dem Weg!“, fauchte Dianne, die gezwungen war stehen zu bleiben.
„Oh, Anglaise – eine Engländerin! Aber was für eine hübsche Engländerin!“ Er warf seinen Freunden einen beifälligen Blick zu, und ein Zweiter öffnete einladend die Wagentür.
Dianne war leicht beunruhigt. Die Straße war in diesem Augenblick beinahe verlassen, und sie fürchtete, die Burschen könnten sie mit Gewalt zwingen einzusteigen. Sie hatten offensichtlich schon etwas getrunken und waren für das, was sie taten, nicht mehr voll verantwortlich. Aber das machte es für Dianne auch nicht leichter.
„Wollen Sie mich freundlicherweise vorbeilassen!“ Sie bemühte sich, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken, doch der junge Bursche kam mit ausgebreiteten Armen auf sie zu.
Erschrocken wich Dianne
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