Das Beste aus 40 Jahren
die Hotelhalle. Sie fühlte sich völlig erschöpft und fragte sich verzweifelt, wie sie die nächsten beiden Tage überstehen sollte, bis sie ihn wiedersah …
Tatsächlich war der nächste Tag jedoch nicht ganz so leer und inhaltlos, wie sie befürchtet hatte. Niemand konnte von der Wärme der Frühlingssonne, den blühenden Sträuchern und den leuchtend bunten Blumenbeeten völlig unberührt bleiben. Diannes Stimmung besserte sich ein wenig.
Im Laufe des Vormittags schrieb sie an Clarry und brachte den Brief dann zur Post. Sie erwähnte, dass sie sich mit Manoel in Verbindung gesetzt habe und hoffe, in ein paar Tagen Günstiges berichten zu können. Mehr schrieb sie aber nicht, denn sie konnte Clarry kaum gestehen, dass Manoel nicht wusste, wozu sie das Geld brauchte, und sie auch nicht die Absicht hatte, es ihm zu sagen.
Zwar zwickte sie das Gewissen ein bisschen, doch sie beschwichtigte die unbequeme Stimme in ihrem Innern mit dem Argument, dass Manoel im Augenblick gar nicht in der Verfassung war, die Wahrheit zu erfahren. Es war durchaus möglich, dass er versuchen würde, ihr das Kind wegzunehmen, wenn er von Jonathans Existenz erfuhr. Sie aber war entschlossen, mit allen Mitteln um ihren Sohn zu kämpfen. Dass es auch sein Sohn war, war bedeutungslos.
Doch das stimmte nicht, mahnte ihr Gewissen. Unter den gegebenen Umständen hätte Manoel das Recht, die Wahrheit zu erfahren.
4. KAPITEL
Als Dianne ins Hotel zurückkam, erwartete sie dort ein überraschender Besucher. Das war gut, sonst wäre der Tag für sie zum Fegefeuer geworden. So aber war sie beinahe erleichtert, als sie sich plötzlich dem unkomplizierten Henri Martin gegenübersah.
Er hatte in der Empfangshalle auf sie gewartet, und als er sie erblickte, nahm sein Gesicht im ersten Moment einen beinahe ängstlichen Ausdruck an.
„Mademoiselle King!“, rief er. Aber Dianne, ohne nach links oder rechts zu schauen, war schon halb an ihm vorüber, ehe sie überrascht herumfuhr.
„Ja, was tun Sie denn hier, Monsieur Martin?“, rief sie.
Henri Martin breitete beredt die Hände aus. „Ich kam, um mich Ihnen als Begleiter anzubieten, Mademoiselle King“, gestand er. „Ich weiß, dass es recht unverschämt von mir ist, einfach hier aufzukreuzen, aber vielleicht ist es Ihnen doch möglich, mir zu verzeihen. Ich möchte mit Ihnen essen gehen.“
Dianne seufzte. Obwohl sie ihn im ersten Augenblick am liebsten fortgeschickt hätte, zögerte sie. Vielleicht wäre es ganz gut für sie, nicht im Hotel herumsitzen und darauf warten zu müssen, dass der Tag verging, die Gedanken vergessen zu können, die sie unaufhörlich peinigten, bis ihr Seelenfrieden dahin war. Henri Martin würde sie bestimmt ablenken, denn er hatte mit ihren persönlichen Angelegenheiten nichts zu tun.
„Das ist sehr nett von Ihnen, Monsieur Martin“, sagte sie. „Ich – ich nehme Ihre Einladung an. Aber Sie müssen mir ein paar Minuten Zeit lassen, weil ich mich noch umziehen muss.“ Sie wies auf ihre saloppe Hose und das Sporthemd, die sie trug.
Henri Martin zeigte ganz unverhohlen, wie sehr er sich freute. Er war, dachte sie sachlich, ein wirklich gut aussehender Mann. In seinem erstklassig geschnittenen grauen Anzug und dem makellos weißen Hemd unterschied er sich stark von den anderen Männern dieser Gegend, die meist so leger und zwanglos gekleidet waren wie Manoel St. Salvador am vergangenen Abend.
Aber Manoel stand diese Kleidung, obwohl er im Abendanzug – den er höchst selten und nur widerwillig trug – einfach atemberaubend gut aussah. Am besten jedoch kam sein Aussehen zur Geltung, wenn er in der Tracht des Gardiens über die Marschen ritt.
„Ich warte selbstverständlich, so lange Sie es wünschen“, versicherte Henri ihr, und Dianne lächelte ihm zu, bevor sie die Treppe zu ihrem Zimmer hinauflief.
Als sie in einem kurzen, apfelgrünen Kleid wieder herunterkam, sah sie geradezu lächerlich jung aus und war froh, dass ihre strenge Haartracht seine Aufmerksamkeit ein wenig ablenkte.
Sie aßen in einem großen Restaurant im Herzen von Arles, wo Henri offensichtlich gut bekannt war, und Dianne fragte sich, was er wohl für einen Beruf haben mochte. Sie aßen Nierenspieße mit Tomaten, ganzen Pilzen und frischem Salat, und obwohl sie behauptet hatte, nicht sehr hungrig zu sein, tat sie der Mahlzeit alle Ehre an. Schließlich war sie jung und gesund, sie fand Henris Gesellschaft auch wesentlich weniger anstrengend als die Manoels.
Nach dem Essen
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