Das Beste aus 40 Jahren
geerbt hatte, zusammen mit dem Haar, das so schwarz war wie Rabenschwingen, und den durchdringend leuchtenden Augen.
Von allen St. Salvadors hatte Gemma sich am wenigsten verändert. Dianne fragte sich, wieso sie sich hatte überreden lassen, aus ihrem Wohnwagen auszuziehen und zum Haus zurückzukehren, das sie verachtete.
Dianne zögerte an der Schwelle, und die leuchtenden Vogelaugen wandten sich ihr gereizt zu. Dann winkte Gemma sie an ihr Bett, und Dianne folgte dem Wink voller Unruhe.
„Hallo, Gemma“, sagte sie unsicher. „Wie geht es Ihnen?“
Ein paar Minuten lang starrte Gemma sie nur wortlos an. Dianne fühlte sich unter dem eindringlich forschenden Blick unbehaglich. Endlich wandte Gemma sich an ihren Enkel und nickte, sie schien nicht unzufrieden.
„Bien – gut“, sagte sie. „Ich bin dir sehr zu Dank verpflichtet, Manoel. Lass uns jetzt eine Weile allein.“
„Oh, aber –“, begann Dianne und wurde durch einen Blick aus Manoels grauen Augen zum Schweigen gebracht. Mit lässiger Anmut ging er durch das Zimmer zur Tür, rief seiner Großmutter beiläufig einen Abschiedsgruß zu und verschwand.
Dianne sah, wie die schwere Tür hinter ihm ins Schloss fiel, und presste nervös die Fingernägel in die Handflächen. Dann blickte sie wieder auf das Bett und die unbezähmbare, kleine Frau, die so aufrecht in der Mitte saß. Gemma hatte ihr einmal erzählt, in ihren Adern fließe königliches Blut. Als Dianne sie jetzt so ansah, fragte sie sich, wie jemand das bezweifeln konnte.
Gemma musterte sie ungeduldig. „Setz dich irgendwohin. Hierher – zu mir aufs Bett.“ Sie klopfte Dianne mit dem Finger leicht auf die Wange. „So bist du also zu uns zurückgekommen“, fügte sie hinzu.
Dianne hob kaum merklich die Schultern. „Für eine kleine Weile“, schränkte sie ein.
„Um Manoel zu sehen?“
„Ja.“ Dianne blickte nicht auf, sondern konzentrierte sich auf das Blattmuster der Steppdecke.
„Warum?“ Gemma war wie Manoel. Sie ging ohne Umschweife auf ihr Ziel zu. Wie auch seine Mutter, nur war Madame St. Salvador doch ganz anders.
„Ich brauche Geld“, antwortete Dianne aufrichtig. Es hatte keinen Sinn, bei Gemma nach Ausflüchten zu suchen oder die Wahrheit umgehen zu wollen. Früher oder später würde sie diese Wahrheit aus ihr herausholen, und Dianne hatte nur Angst davor, dass sie nicht mehr die Kraft haben würde, anderen, persönlichen Fragen zu widerstehen.
„Ich verstehe.“ Gemma legte sich in die Kissen zurück und kniff nachdenklich die Augen zusammen. „Und warum kommst du zu Manoel? Nach allem, was geschehen ist, hätte ich geglaubt, er wäre der Letzte, an den du dich wenden würdest.“
Dianne seufzte schwer. „Ich habe sonst niemand, den ich darum bitten könnte.“
„Und du hältst es für fair, Manoel zu bitten?“
Dianne zuckte mit den Achseln. „Ich weiß nicht.“
„Wozu brauchst du das Geld? Bist du in Schwierigkeiten?“
„Nein – es – es sind eigentlich keine Schwierigkeiten.“ Dianne blickte hilflos in das zerfurchte alte Gesicht. „Schauen Sie, Gemma, das ist eine Sache, die nur Manoel und mich angeht, niemand sonst. Es tut mir leid, aber so ist es nun mal. Wenn er glaubt, er könnte dadurch, dass er mich hierherbrachte …“
Gemma unterbrach sie hitzig und mit blitzenden Augen. „Ich habe verlangt, dass er dich zu mir bringt“, erklärte sie hochfahrend. „Als Louise mir sagte, du seist in Arles …“
„Louise hat es Ihnen gesagt?“
„Selbstverständlich. Du glaubst doch nicht, Manoel …“ Gemma winkte ungeduldig ab. „Nein, dafür ist Louise verantwortlich. Das müsstest du eigentlich wissen, Dianne!“
Diannes Wangen brannten. Sie stand brüsk vom Bettrand auf und ging mit ruckartigen Schritten zum Fenster. „Sie – Sie haben mir noch nicht erzählt, warum Sie jetzt hier leben, warum Sie Ihren Wohnwagen verlassen haben.“
Gemma beobachtete sie ein paar Minuten lang und stieß dann eine Verwünschung aus. „Ich bin vor ein paar Monaten gestürzt. Diese Ärzte – sie haben so große Angst vor dem Tod, dass sie auch alle anderen vor dieser Erlösung bewahren wollen. Sie haben darauf bestanden, dass man mich herbrachte und unter Beobachtung hielt!“ Sie ballte die kleinen Hände. „Wäre Manoel nicht gewesen, hätte ich es nie zugelassen. So aber …“ Sie breitete die Hände wieder aus. „So aber bin ich hier … bei ihr.“ Sie zeigte unmissverständlich in Richtung der Küche, wo ihre Schwiegertochter,
Weitere Kostenlose Bücher