Das Beste aus 40 Jahren
Tuch die Hände und schickte das Mädchen, das ihr geholfen hatte, mit ein paar kurzen Worten hinaus. Dann kam sie mit argwöhnischem Blick auf Dianne zu.
„Warum sind Sie hierhergekommen?“, fragte sie und erschreckte Dianne mit ihrem unerwarteten Angriff so, dass selbst Manoel anscheinend Mitleid mit ihr empfand und beschwichtigend die Hand ausstreckte.
„Du weißt, warum sie hier ist, Maman“, erwiderte er mit großer Entschiedenheit.
Die Mutter warf ihm einen verächtlichen Blick zu. „Oh oui – ja, ich weiß, warum sie hier auf dem Mas ist. Aber ich möchte wissen, was sie in der Camargue zu suchen hat. Ich möchte wissen, ob sie, nur weil sie deine Geliebte war, das Recht für sich in Anspruch nimmt –“
„Bitte, schweig!“, stieß Manoel rau, aber bestimmt hervor. Seine Mutter verstummte mürrisch und grollend. „Nun –“, fragte er und blickte sich um, „wo ist Yvonne? Schläft sie?“
Die Mutter sah aus, als wolle sie ihm nicht antworten, überlegte es sich jedoch nach einem Blick in seine Augen. „Selbstverständlich schläft sie“, brummte sie rebellisch. „Du weißt doch, sie schläft immer nach dem Mittagessen. Ihr kommt später als erwartet, aber das weißt du wohl selbst am besten.“
Manoel ging gleichgültig zur Tür. „Dann gehen wir jetzt zu Gemma“, sagte er, und seine Augen streiften flüchtig Diannes blasses Gesicht.
Madame St. Salvador zuckte mit den knochigen Schultern. Sie war auch vor drei Jahren schon mager gewesen, doch nun, da das ergrauende Haar die Schärfe ihrer Züge deutlicher hervorhob, wirkte sie beinahe abgezehrt. „Wie du willst“, sagte sie, und es klang wie eine Beleidigung.
Dianne schluckte mühsam. Manoels Mutter hatte sich nicht ein bisschen verändert. Sie hasste sie heute noch genauso wie damals. Der Hass war für Dianne schwer zu ertragen, besonders da ihre Nerven ohnehin zum Zerreißen gespannt waren und diese Spannung mit jeder Minute, die sie in diesem Haus verbrachte, wuchs. Sie sah Manoel an, versuchte, in seinem Gesicht zu lesen, was er empfand. Doch abgesehen davon, dass dicht über seinem linken Backenknochen ein Muskel zuckte, wirkte er völlig gelassen und so, als ob ihn die Spannung zwischen den beiden Frauen überhaupt nicht berühre.
„Komm!“, wandte er sich an Dianne, und sie folgte ihm mit marionettenhaft hölzernen Schritten zur Tür, froh darüber, Madame St. Salvador entrinnen zu können.
Draußen, in dem engen Korridor, ging Manoel rasch auf eine andere Tür zu, aber Dianne hielt ihn impulsiv am Ärmel fest. „Bitte, Manoel“, flehte sie, „bitte, mach ein Ende und lass mich gehen!“
Manoel zögerte. „Warum? Was hast du von Maman anderes erwartet? Gute Wünsche? Einen herzlichen Willkommensgruß vielleicht?“
Dianne senkte den Kopf. „Nein, das nicht.“ Sie blickte wieder auf. „Siehst du nicht, dass sie mich hasst? Alle hier hassen mich.“
Manoel widersprach ihr nicht, obwohl sie im Stillen gehofft hatte, er würde es vielleicht doch tun. Wenn nämlich auch er sie so sehr hasste, hätte er sich doch bestimmt geweigert, ihr das Geld zu geben. Es sei denn, er gab es ihr, weil er fand, es lohne sich, damit ihre Demütigung zu erkaufen.
Er wandte sich von ihr ab und klopfte leise an die Tür, vor der sie standen. „Entrez – herein!“, rief eine schwache Stimme.
Manoel machte die Tür auf und trat in die Öffnung. Sein Gesicht nahm einen völlig anderen Ausdruck an. Dianne hörte eine vertraute, wenn auch jetzt viel kraftlosere Stimme sagen: „Ah, Manoel, c’est toi – du bist es! Hast du Dianne mitgebracht?“
Er nickte und bückte sich, um unter der niedrigen Tür durchgehen zu können. „Sie ist da. Voyons, Dianne – komm!“
Dianne trat widerstrebend über die Schwelle in das schattige Zimmer. Es war ein großer Raum mit holzgetäfelten Wänden, an denen in impressionistischer Manier gemalte Bilder der Camargue hingen. Sie stammten von Demetre, dem Zigeunermaler, den Gemma so gefördert hatte. Bunte Teppiche schmückten den polierten Holzfußboden, die Möbel waren groß und schwer, die meisten davon sehr alt. Ein riesiges Himmelbett nahm beinahe den ganzen, noch verbliebenen Raum ein.
In der Mitte dieses Bettes lag, von einem Kissenberg gestützt, eine kleine, dunkelhaarige alte Frau. Ihre Augen waren noch immer so klar und scharf, wie Dianne sie in Erinnerung hatte. Das war Gemma, Manoels Großmutter, in deren Adern Zigeunerblut floss und von der er so viele Charaktereigenschaften
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