Das Beste aus 40 Jahren
nächsten Nachmittag zum Mas St. Salvador hinauszufahren. Sie wollte Jonathan mitnehmen und konnte nur inbrünstig hoffen, dass dieser Besuch ihr nicht das Herz brechen würde.
Es war eine an den Nerven zerrende Fahrt, die holprige Straße entlang, den quengelnden Jonathan auf dem Rücksitz, der bestimmt eingeschlafen wäre, wenn sie auf dem Mas ankamen. Er hielt täglich um diese Zeit seinen Mittagsschlaf, außerdem hatte ihn die ungewohnte und lange Reise am Vortag sehr angestrengt. Dianne warf durch den Rückspiegel einen zärtlichen Blick nach hinten. Er hatte die Augen geschlossen, sein dunkler Kopf nickte, und im nächsten Moment sank die kleine Gestalt zur Seite und streckte sich auf dem Rücksitz aus.
Endlich erreichten sie ihr Ziel, doch das Haus wirkte merkwürdig verlassen. Hunde bellten und kündigten ihre Ankunft an. Aber kein Mensch ließ sich blicken. Sie hätte froh sein müssen, dass Yvonne nicht mehr hier war, um sie zu quälen. Doch ihr rasender Pulsschlag ließ sich nicht beschwichtigen, und als sie aus dem Wagen stieg, zitterten ihr die Knie.
Sie beschloss, Jonathan im Wagen weiterschlafen zu lassen. Hier auf dem Hof konnte ihm nichts geschehen, und es war für sie bestimmt leichter, Madame St. Salvador zunächst ohne das Kind gegenüberzutreten.
Doch obwohl sie lange und energisch an die Tür klopfte, öffnete niemand. Sie drückte auf die Klinke, die Tür ging nach innen auf, und Dianne betrat, von Befürchtungen und Zweifeln erfüllt, das Haus. Sie stand in dem langen Korridor, in dem sie mit Manoel gewesen war, und zu ihrer Linken war die Küche, in der sie die entsetzliche Auseinandersetzung mit Madame St. Salvador gehabt hatte.
Aus einem Impuls heraus öffnete sie die Küchentür, doch der Raum war verlassen. Nur das hell lodernde Feuer unter dem Rost bezeugte, dass erst vor Kurzem jemand hier gewesen war. Sie verließ die Küche gerade rechtzeitig genug, um eine Männerstimme ärgerlich rufen zu hören:
„Qui est-ce – wer ist da? Wer sind Sie? Himmel, antworten Sie mir!“
Es war Manoels Stimme, die aus einem weiter hinten gelegenen Zimmer kam, und Dianne schrak heftig zusammen. Auf zitternden Beinen ging sie den Korridor entlang, bis sie an seine Zimmertür kam. Sie klopfte leise, öffnete die Tür und trat langsam ein.
Manoel wollte eben aus dem Bett steigen, warf jedoch, als sie eintrat, schnell wieder die Decke über seinen nackten Körper. Er starrte sie an, als könne er seinen Augen nicht trauen.
„Hallo, Manoel“, murmelte sie beklommen. „Wie – wie geht es dir?“
Manoel fuhr sich mit der Hand über das zerzauste Haar, das während seiner Krankheit so gewachsen war, dass es sich im Nacken wellte. „Guter Gott!“, rief er ungläubig. „Was, zum Teufel, machst du denn hier?“
Dianne schloss die Tür und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. „Ist – ist das deine Begrüßung?“, sagte sie unsicher.
Manoel fluchte wütend. „Schau, Dianne, ich habe dich nicht gebeten hierherzukommen. Ich weiß nicht einmal, wie du überhaupt hergekommen bist. Um Himmels willen, geh, und lass mich in Ruhe!“
Dianne atmete rascher. „Sprich nicht so mit mir, Manoel. Ich – ich habe mir so schreckliche Sorgen um dich gemacht!“
„Oh, erspar mir wenigstens das!“ Manoel warf sich in die Kissen zurück.
„Es stimmt aber.“ Dianne ging ein paar Schritte auf das Bett zu und merkte jetzt erst, wie kahl dieses Zimmer wirkte. „Wie geht es dir? Ich – ich weiß, dass du einen Unfall hattest. Du musst mir sagen, wie es dir geht, ich muss es wissen.“
„Tatsächlich?“ Seine grauen Augen sahen sie kalt und zornig an. „Nun, mir geht es gut. Und wenn mich diese verdammten Narren, die Ärzte, nicht mit Drogen vollgepumpt hätten, wäre ich längst wieder auf den Beinen.“
Dianne schüttelte den Kopf. „Aber was ist geschehen? Wie ist es passiert?“
Manoels Wangenmuskeln spannten sich. „Ein Stier hat mich auf die Hörner genommen, nicht mehr und nicht weniger ist passiert.“
„Oh Manoel!“ Dianne war entsetzlich elend zumute. „Warum hast du das getan?“
„Was getan? Mich auf die Hörner nehmen lassen? Nun, du kannst dich darauf verlassen, dass ich mir dieses Schicksal nicht freiwillig ausgesucht habe.“
„Wirklich nicht?“ Dianne senkte den Kopf, hob ihn wieder und sah Manoel flehend an. „Wo ist die Narbe?“
„Hier!“
Mit absichtlicher Grausamkeit schob Manoel die Decke bis unter die Taille zurück, sodass Dianne die hässliche, weiße
Weitere Kostenlose Bücher