Das beste Rezept meines Lebens: Roman (German Edition)
mich sein lautes, monotones Surren bis in meine Träume verfolgt. Träume, in denen ich schwer atmend unter Wasser dahinschwamm, auf etwas Glänzendes zu, das ich nie erhaschen konnte, obwohl ich immer tiefer tauchte.
Während ich so dalag und mich darauf konzentrierte, an nichts zu denken (was natürlich ein Widerspruch in sich war), geschah etwas Erstaunliches. Nicht dass ich es geschafft hätte, alle Gedanken an diesen schrecklichen Morgen im Krankenhaus zu verdrängen, der nun schon einige Wochen zurücklag, aber mich seither nie wieder losgelassen hatte. Doch zum ersten Mal seit jenem Tag funkten bei meinem Versuch, an nichts Bestimmtes zu denken, nicht nur düstere Gedanken dazwischen, sondern auch leichte, fluffige, zitronige Erinnerungen. Ich dachte an Annie Quintanas Cupcakes.
Schon der erste Bissen von einem der Zitronen-Cupcakes, die bei der Benefizveranstaltung am Abend zuvor gereicht worden waren, hatte mich in meine Kindheit zurückkatapultiert. Plötzlich war ich wieder sieben Jahre alt und stand neben Lucia und Annie auf einem Tritthocker am Küchentisch, um mit einem Eisportionierer vorsichtig etwas Teig aus einer großen Schüssel in ein Cupcake-Förmchen zu geben, während mir bei der Aussicht auf das fertige Törtchen schon das Wasser im Mund zusammenlief.
»Gut, Julia. Jetzt ist Annie dran«, sagte Lucia in ihrem leichten spanischen Akzent, der ihre leise gesprochenen Worte noch sanfter klingen ließ.
Um es meiner geliebten Lucia recht zu machen, nickte ich gehorsam, funkelte Annie aber böse an, als ich ihr den Eislöffel gab. Warum musste ich mit ihr teilen? Meine Portionen waren genauso perfekt wie Lucias! Doch meine Eifersucht auf Annie hielt nie lange an. Damals waren wir unzertrennlich. Die Nachmittage verbrachten wir damit, auf dem Spielplatz auf Klettergerüsten herumzuturnen, in unseren Fantasiewelten in die verschiedensten Rollen zu schlüpfen und im Garten in der Erde zu buddeln. Abends huschten wir dann zwischen dem Hauptgebäude und der Remise hin und her und besprachen im Flüsterton unsere Pläne für den nächsten Tag, bis Lucia oder meine Mutter damit drohten, unsere Zubettgehzeit strenger zu kontrollieren. Unsere Freundschaft war wie Yin und Yang – wir ergänzten uns perfekt. Zumindest bis zur Highschool, als dieses zarte, kindliche Gleichgewicht uns gnadenlos im Stich ließ.
Annie nahm den Portionierer und sprang mit beiden Beinen gleichzeitig auf den Hocker. Dann begann sie, den Cupcake-Teig herauszulöffeln, so schnell und hingebungsvoll, dass ich einen hysterischen Lachanfall bekam, aber auch ein bisschen nervös wurde. Lucia fing meinen Blick auf und blinzelte mir schelmisch zu, was seine Wirkung nie verfehlte: Ich war sofort wieder guter Laune. Sie war meine Nanny, seit ich denken konnte, und ich rannte immer zuerst zu ihr, wenn ich traurig, müde oder hungrig war. Schon als kleines Mädchen spürte ich instinktiv, dass meine Mutter, der strahlende Mittelpunkt unzähliger Benefizveranstaltungen und Galas und Dinnerpartys, stets ein wenig überfordert war, wenn ich mit meinen unzähligen Bedürfnissen ankam. Selbst wenn sie mich in die Arme nahm, schien immer noch eine gewisse Distanz zwischen uns zu sein. Bei Lucia war das anders; ihre weichen Arme umschlossen mich ganz und gar, während ihr Vanilleduft (den ich viel lieber roch als das Givenchy-Parfum meiner Mutter) mir in die Nase stieg. Und sie löste die Umarmung nie als Erste.
Natürlich ist niemand perfekt, aber wenn jemand meiner Vorstellung von Vollkommenheit nahe kam, dann war es Lucia. Ihr Vorrat an Liedern, die sie mit ihrer weichen, leicht brüchigen Stimme auf Englisch oder Spanisch sang, war schier unerschöpflich. Sie vergaß nie, dass ich meine Käsesandwiches in zwei rechteckige und Annie die ihren in zwei dreieckige Hälften geschnitten haben wollte. Und sie konnte zuhören wie niemand sonst, als wäre ich das Allerwichtigste auf der Welt – sie besaß keine funkelnde Uhr, auf die sie verstohlen blickte, wenn ich das kleine Einmaleins aufsagte, und sie wurde auch nie am Telefon verlangt, wenn wir zusammen waren.
Erst Jahre später wurde mir bewusst, dass die Frauen, die meiner Mutter mit ihren ständigen Anrufen unsere gemeinsame Zeit stahlen, dieselben waren, die mir Einladungen zu allen angesagten Partys sicherten. Doch das erfüllte mich nur kurz mit Scham, ebenso wie die Erkenntnis, dass es mich mit Stolz erfüllte, neben meiner eleganten Mutter durch die Straßen zu spazieren, während ich
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