Das beste Rezept meines Lebens: Roman (German Edition)
im zweiten Stock ins Gästezimmer und verstaute die Schachtel auf einem Stapel weiterer Geschenke. Dann legte ich mich aufs Bett, hielt mein Smartphone vor mir in die Höhe und gab eine Erinnerung an den Dankesbrief in den Kalender ein. Als ich die Notiz gespeichert hatte, sah ich auf die Uhr und rief Wes an.
»Zwei Wochen noch, meine Hübsche!«, sagte er voller Vorfreude.
»Zwei Wochen noch«, wiederholte ich und setzte mich im Bett auf, um meiner Stimme ebenso viel Begeisterung verleihen zu können. Zwei Wochen noch, bis Wes wieder nach San Francisco kam. »Ich freue mich so auf dich.« Wieder wurde mir quälend bewusst, wie absurd es war, dass ich ihm noch nichts von meinem Krankenhausaufenthalt erzählt hatte. Aber mit jeder Woche, die verging, wurde die Hemmschwelle nur noch größer. Dabei konnte ich nicht ewig so weitermachen, schon gar nicht bis zur Hochzeit. Ich konnte doch nicht vor dreihundert geladenen Gästen das Ehegelübde ablegen, ohne meinem Mann alles gesagt zu haben.
»Mannomann, Julia, geht’s noch überzeugender?«, sagte Wes in seinem schönsten Südstaatenakzent. »Du hörst dich an, als hätte ein Kojote dein Schoßhündchen gerissen.«
»Was?« Trotz meiner trüben Stimmung musste ich lachen. »Tut mir leid, Wes. Du fehlst mir wirklich sehr. Ich bin wohl einfach zu müde.«
»Du? Müde? Spreche ich mit der Julia St. Clair, die ich kenne? Ich hatte den Eindruck, dass du nie müde wirst. Dass so etwas wie Müdigkeit in deinen Genen gar nicht angelegt ist. Ist das meine Julia, die um sechs Uhr morgens die erste Konferenzschaltung hat? Miss New-York-Marathon-in-drei-Stunden-vierundzwanzig-Minuten? Meine Weizengrassaft schlürfende, kickboxende, zahlenverliebte, investitionsbegeisterte, verdammt heiße Verlobte?«
»Das war damals, als ich noch eine umtriebige Geschäftsfrau war. Jetzt habe ich einfach zu viel Zeit. Das Cupcake-Café gibt mir zwar einiges zu tun, aber der Tag zieht sich trotzdem endlos lang hin.«
»Klingt furchtbar«, sagte Wes, und ich hörte ihm an, dass er es ernst meinte. Er konnte unstrukturierte und damit zwangsläufig unproduktive Tage genauso wenig leiden wie ich. »Ich fasse es immer noch nicht, dass du deinen Job so mir nichts, dir nichts an den Nagel gehängt hast. Versteh mich nicht falsch, ich finde es großartig. Wir können uns jetzt viel öfter sehen. Aber du hast diesen Job geliebt. Es hat mich schon ein wenig geschockt, wie schnell das alles ging. Ich hätte nicht gedacht, dass ich eine so geheimnisvolle Frau heirate. Ist es schlimm, wenn ich das irgendwie … aufregend finde?«
»Siehst du, genau deswegen habe ich es getan. Ich wollte das Feuer noch ein bisschen weiter schüren.«
»Nicht nötig! Ich brenne vor Leidenschaft, Baby!« Wes knurrte wie eine Raubkatze und brachte mich damit wieder zum Lachen. Wes hatte ein Talent dafür, mich aufzuheitern, auch wenn ich das im Laufe unserer Beziehung noch nicht oft gebraucht hatte. Er war ein kluger, gütiger, verlässlicher Mann; manchmal, in den seltenen Augenblicken, in denen mein Gewissen sich zu Wort meldete, fragte ich mich ernsthaft, ob ich ihn überhaupt verdiente. Was würde er sagen, wenn er die Wahrheit erführe? Moment, ermahnte ich mich, nichts von alledem war meine Schuld.
Es sei denn … Es sei denn, irgendetwas tief in mir, etwas Giftiges, das von Anfang an in mir gegärt hatte, wäre der Auslöser gewesen? Schließlich war es durchaus möglich – konsequent zu Ende gedacht –, dass ich im Kern kein guter Mensch war. Wes würde das natürlich sofort bestreiten, aber er steckte auch nicht in meiner Haut. Er sah nur, was ich ihn sehen ließ. Ich hatte ihm noch nichts von Annies unverhohlener Abneigung mir gegenüber erzählt, geschweige denn, dass sie wahrscheinlich gute Gründe dafür hatte.
Aber manchmal konnte ich einfach nicht verhindern, dass mir solche giftigen Gedanken durch den Kopf schossen. Niemand hat alles Glück der Welt für sich allein gepachtet , sagte ich mir, wenn mich frohe Neuigkeiten von einer Freundin deprimierten. Ein schönes Ereignis im Leben eines anderen bedeutet ja nicht, dass dir nicht auch etwas Schönes widerfahren kann. Caroline Rydell zum Beispiel hatte vor kurzem angerufen und mir überglücklich mitgeteilt, dass sie ein Kind erwartete. Aber war es nicht menschlich, andere Leute um ihr Glück zu beneiden? Oder machte einen das zu einem schlechten Menschen – einem gemeinen Menschen, wie Annie es wohl genannt hätte?
Vielleicht sollte ich es doch
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