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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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ordnen. Ihr Grundsatz war deshalb gerade nicht beliebig, weil bei einer Ordnung nach der Größe sich das routinemäßige Abstauben müheloser gestaltete: Die Bücher bildeten jeweils etwa gleich hohe Ebenen und sie mußte mit dem Staubtuch nur darüberfahren, um gleich dreißig auf einmal zu erwischen. Sie empfand niemals besondere Sympathien für den Priester, der seinerseits viel spirituelle Energie |221| entwickeln mußte, um sie nicht zu hassen. Es gab Tage, und das waren vornehmlich diejenigen, an denen sich Agnes einer gründlichen Reinigung des Arbeitszimmers gewidmet hatte, da sich das Gelöbnis in seinem täglichen Vaterunser, unsern Schuldigern ihre Schuld vergeben zu wollen, einzig auf Agnes bezog, so sehr eroberten sich ihre Eingriffe in sein Leben den Vorrang vor den zahllosen Intrigen, die in Limburg am bischöflichen Stuhl gegen ihn gesponnen wurden.
    Als Agnes ging, gab ihm ihr kühler Abschied dennoch einen Stich. Er fühlte, daß sie ihn verachtete, und hörte voller Dankbarkeit Ines zu, die ihm erklärte, wenn Agnes nicht von selbst gegangen wäre, dann hätte sie höchstpersönlich für ihr Verschwinden gesorgt, weil er nun einmal im Umgang mit solchen Leuten zu gutmütig sei.
    Mit ihrem ruhiger gewordenen Freund begann Ines sehr geschickt über lauter kleine, praktische Fragen zu sprechen, die seinen neuen Band betrafen. Der Monsignore überlegte, ob er sich von seinem Verlag, einem kleinen Unternehmen, das sich »Die Aussaat« nannte, trennen sollte, weil die Ausstattung dort immer dürftiger werde, und Ines war sofort dabei, ihn in dem Gedanken zu unterstützen, die Gedichte künftig im Selbstverlag herauszugeben, nur noch den Freunden des Priesters erreichbar. »Das ist sowieso jetzt besser«, sagte der Monsignore, beließ es aber bei dieser Andeutung, als Ines vermied, darauf näher einzugehen.
    Die beiden hatten ein festgelegtes Ritual entwickelt, sich den Fragen, die den Grund des Besuchs bildeten, zu nähern. Es wäre im Zirkel des Monsignore ohnehin unmöglich gewesen, das wesentliche Thema sofort anzusteuern. Er pflegte einen geradezu orientalischen Stil der Vorbereitung und bewußten Ablenkung von der Hauptsache und wurde beinahe giftig, wenn meine Mutter, die für derlei Brimborium nicht den geringsten Sinn hatte, in gespielter Einfachheit sich zu ihm verhielt wie ein schlichtes Gemüt zu seinem Dorfpfarrer. Wenn es ihm nicht gelang, ihr gegenüber einen scharfen Ton zu unterdrücken, kam sie von der Begegnung mit ihm in der beschwingtesten Stimmung zurück: |222| »Ja, ja, die Kaltwasserheilanstalt St. Ulrich in Kleve«, sagte sie dann zu meinem Vater, »die hat er wohl mal wieder nötig.«
    Erst später erfuhr ich, daß von der besagten Anstalt vermutet wurde, sie diene der schonenden Beobachtung sich auffällig betragender Priester. Der Monsignore hatte dort jedenfalls einige Male seine Sommerferien verbracht und war gekräftigt zurückgekehrt. »Da sollen ihn seine lieben, lieben Freunde mal besuchen«, sagte meine Mutter, die immer glaubte, daß die Treffen beim Monsignore auch einen orgiastischen Aspekt hätten, und die von der Strenge und Reinheit, der selbst Ines sich in seinen Räumen unterwarf, enttäuscht gewesen wäre.
    Plötzlich, aber nur scheinbar plötzlich, denn sie fühlte, daß der Zeitpunkt erreicht war, fragte Ines: »Wie ist das eigentlich mit den Juden? Man hört soviel jetzt ... So viel Schlechtes ... Manches stimmt sicher, aber meine Freundin, Sie kennen doch Florence Korn, ist so etwas von soigniert. Sind die Juden wirklich so anders?« Der Priester hatte das Gesicht tief in die Hände vergraben. Weil die Fragen stockten, wußte er nicht, ob Ines fertig war, und blieb noch eine Weile in dieser Stellung, bis er bemerkte, daß sie tatsächlich am Ende angekommen war. Dann hob er den Kopf, der rot war, und blinzelte ins Licht. Schließlich sagte er mit erschöpfter Stimme: »Ja! Man wehrt sich zwar immer noch, das zu sehen, aber man wird es nicht mehr lange können, wenn man ehrlich weiter Wissenschaft betreiben will. Ja, sie sind anders, die Juden sind ganz anders als die anderen Völker der Erde, sie sind unvergleichbar mit allem, was sonst unter der Sonne lebt.«
    »Das dachte ich mir schon«, sagte Ines, aber der Monsignore hörte nicht zu, er stand auf und suchte aus den verschiedenen Haufen mehrere Bücher zusammen, die in schwarzes Packpapier eingeschlagen waren. »Sehen Sie, es fängt damit an, daß sich die Autoren der Evangelien im Grunde gar nicht

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