Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
Vom Netzwerk:
fromme Tochter, die in die Bresche gesprungen war und an seiner Stelle zur Teestunde die Schere bediente – nicht mehr zur Kupierung der Stiche freilich, die er einem törichten Kind wohl auch jetzt noch nicht überlassen hätte, sondern zu einem ebenso sinnvollen, aber weniger Kenntnis und Geschmack erfordernden Zweck, nämlich dem Zerschneiden der Zeitung in kleine Rechtecke, die gelocht und gebündelt |238| an einem Nagel im Häusel aufgehängt wurden. Sie behielt diesen Brauch auch nach dem Tode ihres Vaters bei, wenn sie dafür allerdings nun nicht mehr Zeitungspapier, sondern hübsch bedrucktes, aber benutztes und nicht wieder zu verwendendes Geschenkpapier verwandte.
    Meine Tante war eine Schülerin ihres Vaters. Ist es deshalb nicht möglich, daß sie, wenn sie seine unsinnigen Sparmaßnahmen weiter in Ehren hielt, damit eigentlich eine Gedächtnisfeier begründen wollte? Ich will vermuten, daß sie die Vestalin eines fremden Geizes geworden war und damit nach außen hin selber als geizig erschien, ohne es vielleicht in Wirklichkeit jemals gewesen zu sein.
    In der Reparaturwerkstatt legte sich die Unruhe meiner Tante, weil ihre Befürchtungen, die von Stephan geweckt worden waren, keine Nahrung erhielten. Der Schaden war wirklich klein, und obwohl der Meister sich Zeit nahm, die Maschine gründlich zu untersuchen, fand er nichts, was er sonst noch hätte in Ordnung bringen können. Einen Augenblick lang nur setzte ihr Herzschlag noch einmal aus, als der Mann die Bodenplatte abschraubte und ein kleines Stück Metall herausfiel. Es glitzerte in seiner von Öl und Tinte schwarz gefärbten Hand und rollte dort hin und her. »Ich weiß beim besten Willen nicht, wo das hingehört«, murmelte der Meister. »Vielleicht ist das ja auch von außen in die Maschine gefallen«, eine Version, deren Wahrscheinlichkeit meiner Tante sofort einleuchtete und die sie deshalb mit ausdrucksvollem Kopfnicken kindlich begrüßte.
    Stephan befaßte sich nicht mit diesen mechanischen Details. Er ging in der dunklen Werkstatt auf und ab und hob gelegentlich eine der auf dem Boden herumstehenden Schreibmaschinen mit der Hand ein wenig an, als genüge dies, um ihren Zustand festzustellen. Dann ließ er sie wieder fallen, machte: »Tz, tz, tz« und wandte sich einer neuen Maschine zu, um sie in der gleichen Weise zu prüfen.
    Sein Aufenthalt in dieser Reparaturwerkstatt war seit langer Zeit der erste an einem Ort, wo ein Mensch durch geregelte Arbeit sein Brot verdiente, wenn man von Restaurants, Schneiderateliers |239| und dem Ordinationszimmer von Dr. Tiroler einmal absah. Er atmete tief ein und fand den Geruch der Luft anregend und würzig, denn er enthielt die zarten Dämpfe, die aus den geöffneten Benzin-, Spiritus- und Terpentinflaschen aufstiegen und die sich mit dem scharfen Schwefelton, der vom immer noch geheizten Kanonenofen herzog, glücklich vermischten. Stephan betrachtete den Meister, der eine feine Brille trug und auch ein Uhrmacher oder Apotheker sein konnte, wie er still an der Schreibmaschine meiner Tante herumklopfte. Er las den Meisterbrief an der Wand, aus dem hervorging, daß der Meister aus Jüterborg stammte, und eine heimelige Empfindung wandelte ihn an. So müßte man leben, dachte er. Eine nie gekannte Unternehmungslust bildete sich in seiner Brust, die sich zunächst in sinnlosen Satzfetzen, die ihm durchs Bewußtsein flogen, äußerte. Stephan dachte ungefähr: Der Mann hat seinen Laden, er geht in seinen Laden, er arbeitet hier in seinem Laden, abends macht er seinen Laden einfach zu, sonntags auch, da ist der Laden zu, da macht er den Laden erst gar nicht auf – fabelhaft! Ein fabelhaftes Leben! Er fühlte, daß er auch etwas unternehmen müsse, etwas, das diesen angenehm reinlichen Arbeitsgeruch ausstrahlte.
    Er sah ganz anders aus auf einmal, entschlossen, als ob er die Reparaturwerkstatt vom Fleck weg kaufen wolle. Sein Kopf legte sich in den Nacken, und jeder Verputzschaden, jedes schwarzverstaubte Spinnengewebe, das er an der Decke sah, gefiel ihm als erfreulicher Bestandteil dieser fabelhaften Existenz, in die er da unverhofft Einblick nahm. Was für ein glänzender Einfall von der Schreibmaschine, kaputtzugehen! Man mußte wirklich nur einmal dazu gebracht werden, das Haus zu verlassen, und schon erwarteten einen die bedeutendsten Eindrücke. Leider konnte er nicht wissen, daß in der Fabrik seines Vaters in der Nähe von Hanau, die er längst hätte besuchen müssen, sehr ähnliche

Weitere Kostenlose Bücher