Das Bett
sein. Und selbst die Anhäufung des Schatzes darf nicht genossen, sondern muß vom Geizigen mit dem Wissen betrachtet werden, daß Rost und Motten in unserer Zeit die geringsten Gefahren des Besitzes darstellen.
Im nachhinein ist es schwer, in die Seele meiner Tante einzudringen, um mit Sicherheit festzustellen, ob nicht doch ein geheimes Ziel vor ihren Augen schwebte, wenn sie Vorräte von Gummiringen anlegte, wenn sie ihre Kostümjacke wenden ließ oder wenn sie sich auf Reisen ausschließlich mit Broten ernährte, |236| deren Belag in der Hitze geschmolzen war und einen ranzigen Geruch verbreitete. Sie war im selben Haus wie meine Mutter aufgewachsen, unter der Herrschaft desselben Vaters, der für seine frühmorgendlichen Kontrollgänge gefürchtet war und für seine eiserne Zucht bei der Verteilung der Kohlen für die Öfen des Hauses. Dennoch hatte sie ein ganz anderes Verhältnis zu ihrem Vater gehabt als meine Mutter. Sie war die jüngste Tochter und genoß eine gewisse Zärtlichkeit von ihren Eltern, im Gegensatz zu den übrigen Kindern, die sich aus dem Hause stahlen. Sie behielt ihre Sonderstellung, weil sie sich auch nach dem Ende ihres Studiums nicht verheiratete und deshalb die geborene Pflegerin ihrer alten Eltern war, die sich noch die eine und andere Reise erlaubten und sich dabei von ihrer Tochter begleiten ließen.
Ich sehe noch die Photographie vor mir, die meine Tante und meinen Großvater auf der Terrasse eines Cafés in Montreux zeigt. Meine Tante steht neben dem Gartenstuhl, auf dem ihr Vater Platz genommen hat. Er ist das Urbild dessen, was man in seiner Jugend einen »rüstigen Greis« genannt hätte. Er sitzt da mit weißer Bürstenfrisur und asketischem, aber keinesfalls eingefallenem dickem Kopf, der vom Stehkragen gehalten wird, mit dunkler, weißgepunkteter Krawatte, schmalen Lippen, kleinen, schwarzen Augen. Neben ihm meine Tante in einem formlos herunterhängenden Mantel, der von zwei untertassengroßen Knöpfen geschlossen ist, die Baskenmütze auf dem Kopf, mit Augen, schwarz wie die ihres Vaters, aber viel größer, ausdruckslos und feucht. Die beiden sehen nicht wie Vater und Tochter aus. Man sieht die Wohlerhaltenheit und Kälte meines Großvaters, die Nachdenklichkeit und Willenlosigkeit meiner Tante, und man denkt dabei an die Geschichten von alten Familientyrannen, die schließlich, um ihre mittlerweile erwachsenen Kinder endgültig ins Unglück zu stürzen, gesund wie nie vom Totenbett aufstehen, um ihre Krankenschwester zu heiraten und einen Leibeserben zu zeugen, der die Hoffnungen der Erstgeborenen zunichte macht. Vor meinem Großvater steht auf dem Tisch ein kleines Tablett mit einer Kaffeetasse und einem Glas Wasser, das |237| ich erwähne, weil davon viel die Rede war, es hatte auf die Reisenden einen unauslöschlichen Eindruck gemacht. Als meine Tante und mein Großvater nämlich aus Montreux zurückkehrten, wo sie sich in einer Pension aufgehalten hatten, deren Schlichtheit noch gerade eben mit den zurückhaltendsten bürgerlichen Ansprüchen zu vereinen war, sangen beide ein Loblied auf die Gastronomie der Stadt, insbesondere aber auf die der Café-Terrasse, auf der sie photographiert worden waren. Es war kaum zu glauben, wie sinnvoll in diesem Unternehmen an alles gedacht wurde und wie zweckmäßig die Einrichtungen beschaffen waren. Wenn sich der Großvater eine Tasse Kaffee bestellte, dann wurde diese Tasse stets mit einem Glas Wasser gebracht, das im Preis enthalten war. Mein Großvater, der erklärte, nicht allzuviel Flüssigkeit zu sich nehmen zu wollen, verzichtete gewöhnlich auf dieses, an sich ihm zustehende Glas zugunsten seiner Tochter, der ohnehin der Kaffee nicht bekam, die sich aus süßer Limonade nichts machte und die mit einem Glas Wasser zufrieden war, zumal sie damit einer eigenen Bestellung aus dem Wege ging.
Meine Tante suchte die Gemeinsamkeit mit ihrem Vater in dieser gemeinsamen Bewunderung. Sie bemühte sich, in jeder Hinsicht mit ihm am selben Strang zu ziehen, und sie wurde dafür belohnt: Der Patriarch, der sich zu seiner eigenen Überraschung von einem Familienmitglied verstanden sah, wandte sich ihr mehr zu als jemals seiner Frau und verbrachte viel Zeit mit ihr. Seine Kupferstiche waren zu diesem späten Zeitpunkt seines Lebens fast restlos zerstört, und auch die Finger schmerzten, wenn er sie in die Scherenlöcher stecken wollte, um etwas zurechtzuschneiden. So saß er denn und blickte mit Wohlgefallen auf seine gehorsame und
Weitere Kostenlose Bücher