Das Bett
in den Rosensaal eindrangen und ein dröhnendes Summen aus tausend Unterhaltungen, das zunächst abgeschwächt von draußen zu hören war, plötzlich den Saal füllte, der bis dahin in der sanften Feuchtigkeit des Rosenduftes geschlafen hatte. Schließlich erhob sich Herr Gutmann, schlug an sein Glas, was freilich in dem allgemeinen Lärm niemand hörte, und rief: »Ich bitte Sie um Ihre Aufmerksamkeit, meine sehr verehrten Damen und Herren, um nur einen Augenblick Ihrer kostbaren Aufmerksamkeit.« Während sich die Festgesellschaft nun langsam beruhigte, sah Florence auf ihren Teller nieder. Was folgen würde, war notwendig wie alle Katastrophen und Krankheiten auf der Welt, aber es würde für sie schwerer zu ertragen sein. Da sie wußte, daß sie von vielen Augenpaaren beobachtet wurde, richtete sie ihren Kopf wieder auf und lächelte ihrem Vater strahlend von der Seite zu. Ihr Herz schlug schneller, sie war außerstande, die Frage, die Willy ihr stellte, zu beantworten, legte ihm statt dessen ihre Hand auf den Arm und sagte in einem drängenden und beinahe gereizten Tonfall: »Liebling, bitte nicht!«
Willy schwieg ein wenig beleidigt, denn er hatte sich entschlossen, da seine Familie auf dieser Hochzeit so gut wie nicht vertreten war, als Bräutigam ausnahmsweise eine Antwortrede auf die Worte des Schwiegervaters vorzubereiten, und wollte Florence gern mit dieser für ihn mit äußersten Mühen verbundenen Leistung überraschen und beeindrucken. Daß daraus nun nichts werden sollte, schrieb er ihrer Laune zu, und auch ein subtilerer |331| Kenner ihrer Motive, als Willy es war, hätte ihr den Vorwurf der Ungerechtigkeit schwer ersparen können. Was sie in den Reden ihres Vaters fürchtete, war mit Sicherheit in Willys Rede nicht zu erwarten. Seine rhetorischen Bemühungen schulten sich am Vorbild der Sportklubrede, mit der etwa der siebzigste Geburtstag des Gründungsmitglieds gefeiert wird, Ansprachen, die wahrhaft aus dem Geist der Mäßigung kamen, weil auch das sparsamste Pathos, das einem der wenigen leidenschaftlicheren Sportklubrednern entfahren mochte, in der Unbeholfenheit des Vortrags wieder unsichtbar gemacht wurde. Willy hatten Worte dieses Stils vorgeschwebt, als er sich an die Ausarbeitung seiner Rede machte. Seine Tragödie bestand darin, daß Florence eigentlich nichts gegen die Rede einzuwenden gehabt hätte. Sie wäre sogar heilfroh gewesen, wenn ihr Vater etwas Vergleichbares von sich gegeben hätte, nur eben Willy durfte sie nicht halten, jedenfalls nachdem ihr Vater bereits gesprochen hatte, weil Florence nach seiner Rede die Lust an weiteren männlichen Ansprachen vergangen war.
Über Willys Unfähigkeit zu reden, die Florence gar nicht geprüft haben konnte, da sie auch im weiteren Verlauf ihrer Ehe die Konsequenz des Hochzeitstages beibehielt, verbreitete sie sich einmal sogar gegenüber Dr. Tiroler anläßlich eines Spazierganges durch die blutroten Herbstwälder, die man nach kurzer Fahrt in Tirolers Coupé erreicht hatte. Es war das erstemal, daß Florence über Willy sprach. Sie vermied dies an sich naheliegende Thema ängstlich selbst dann, wenn Dr. Tirolers Ausführungen über die von ihm vermuteten Kindheitserlebnisse Stephans dringend der Korrektur bedurft hätten.
Dr. Tiroler horchte auf, als das Wort Willy auf einmal über ihre Lippen kam, ein Wort, das er mit den Mitteln seiner Kunst schon so lange hatte aus ihrem Munde herauslocken wollen, und das nun unerwartet und mühelos hervorkam, wie eine Maus, vor deren Loch man lange die feinsten Nüßchen ausgestreut hat und sie dennoch nicht bewegen konnte, herauszugucken und daran zu knabbern, plötzlich, wenn keine Nüßchen daliegen, herausschlüpft und arglos in der Sonne spielt. Dr. Tiroler war vertraut |332| im Umgang mit solchen Tieren. Er wußte, daß die kleinste falsche Bewegung sie vertreiben konnte und daß es dabei keine Rolle spielte, ob diese Bewegung zutraulich und sanft oder feindselig war. In seiner langjährigen Praxis hatte er sich angewöhnt, beim Beginn eines kostbaren Geständnisses das Gesicht des Pokerspielers anzunehmen, ja mehr noch, nicht nur Interesselosigkeit, sondern eine Leidenschaftslosigkeit mimisch darzustellen, die an Abgestorbenheit grenzte. Seine Rede verkümmerte zu Brummlauten, wie sie aus dem Mund der Schlafenden dringen, denn es war ihnen weder Zustimmung noch Ablehnung über das Gehörte anzumerken, erst recht keine Neugier, denn Tiroler hatte festgestellt, daß ein allzu deutlich
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