Das Bett
kann«, erklärte Florence mit neuem Schwung. Ein Specht ließ sich hören, sein Picken war von maschineller Geschwindigkeit, als wolle er einen Knopf an dem Baum festnähen. Dr. Tiroler atmete schnaufend. Bei dem Geräusch des Spechts war er ein wenig zusammengezuckt, als bemerke er entsetzt, daß sie nicht allein im Wald spazierengingen, er vergaß beinahe sein gesprächsförderndes Brummen.
»Nur eins müssen Sie mir erklären, diese Unbeholfenheit beim Reden und dieser entsetzliche Drang dazu. Es war ja frühzeitig Schluß damit, Gott sei Dank kannte ich das Manuskript der Rede, die er bei einem Fest meiner Eltern halten wollte, und ich mußte ihm seinen Plan einfach verbieten, mir brach fast das Herz. Ich möchte nur eins auf der Welt: taktvoll sein zu Willy. Oh, Henry, Sie sind so klug, verzeihen Sie einer armen Freundin, denn so darf ich mich doch nennen, wenn sie sich ein wenig ausweint. Natürlich haben Sie jeden Tag viel wichtigere Probleme zu lösen. Aber auch ich habe es manchmal schwer, glauben Sie mir.« Die letzten Worte hätte Florence sicher niemals in Tirolers Gesicht hinein gesagt, da sie aber mittlerweile schon nicht mehr nebeneinander gingen, weil der kurzbeinige Tiroler, dem die leichte Steigung zu schaffen machte, zurückgeblieben war, war in ihr der Eindruck entstanden, als spräche sie ganz für sich allein in |335| einen Prospekt aus Bäumen und Büschen, wie eine Schauspielerin, die von der Regie veranlaßt wird, dem Publikum den Rücken zu zeigen und in die Kulisse zu sprechen. Sie blieb stehen, als sie merkte, daß auch Tiroler stehengeblieben war, und drehte sich zu ihm um. Er stand etwas tiefer als sie, was ihn noch kleiner erscheinen ließ. Er sah sie aus Augen an, die durch die seelische und körperliche Anstrengung etwas herausquollen, und zuckte mit den Schultern.
Nach einer Weile des Schweigens sagte er schließlich: »Ich liebe es, wenn Sie sprechen, Florence, warum haben Sie aufgehört? Wir haben uns im Wald verirrt wie die Kinder, nicht wahr? Aber wir sind dabei, ohne es zu wollen, wieder ans Ziel gelangt. Sehen Sie dort hinten das Rot durch die Büsche leuchten? Das ist mein Wagen. Wir sind im Kreis gegangen, Florence. Geben Sie mir Ihre Hand.«
Als ihre Hand in der seinen lag, die schmale blauädrige Hand mit den scharfen dunkelroten Fingernägeln in seiner fast kreisrunden, dicken Hand mit ihren kurzen Fingern, erwachte Florence langsam wieder zum Leben. Sie fühlte, wie sie sich an Tiroler erwärmte, der seinerseits die Verfrorenheit ihrer Hand mit einem Schauder bemerkte. Tiroler wäre überglücklich gewesen, wenn sie ihm diese Hand ein wenig länger überlassen hätte, wenn er vielleicht sogar mit ihr das kurze Stück bis zum Auto hätte Hand in Hand gehen dürfen. Aber gerade diese Konsequenz, die Florence auch bedachte, war es, die sie ihm ihre Hand wieder entziehen ließ – gewiß, ihr Herz schmolz, und ihre Seele war bereit, sich an Henry Tirolers Seele zu schmiegen, aber das war noch lange kein Grund, wie ihr Hausmädchen Linda mit ihrem Verlobten auf öffentlichem Gelände Händchen zu halten.
Willy hatte auf seiner Hochzeit also nicht gesprochen, damals nicht und später auch nicht. Dafür hatte Herr Gutmann seine Rede gehalten, eine lange, wohlkonzipierte Rede, deren Manuskript er aber, wie es seine Gewohnheit war, nach einiger Zeit beiseite legte, um sich ganz seinem forensischen Genie zu überlassen. »Florence, mein Kind, meine süßeste kleine Flo!« begann Herr Gutmann und strich sich den schwarzen, mit Silberfäden |336| durchsponnenen Spitzbart, während seine Tochter wußte, daß ihr nichts von dem, was sie sich in den schlimmsten Träumen vorgestellt hatte, nun erspart bleiben würde. Jedes Wort des Vaters, durch das sie sich wie von Skorpionen gezüchtigt fühlte, vertiefte das Schweigen der Gäste, die anfänglich noch Florence zuwinkten und sich zuflüsterten, wie rührend es sei, daß Herr Gutmann zu einer solch bewegenden Sprache gefunden habe, und es war tatsächlich ein seltenes Schauspiel, den harten Geschäftsmann, den »Wall-Street-Tycoon« in derart eindrucksvoller Erschütterung zu erleben. »Als deine über alles geliebte Mutter vor nunmehr fünfzehn Jahren starb, da war unser aller Schmerz groß, er war größer, als daß wir hätten hoffen dürfen, getröstet zu werden. Deine Mutter nahm auf ihrem Totenbett noch einmal Gelegenheit, von uns allen Abschied zu nehmen, sie rief Alfred und Ernest zu sich, Blanche und auch dich, sie legte
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