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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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euch die Hände auf den Kopf und sagte Dinge, die wir nie vergessen werden.« Hier senkte Herr Gutmann seine Augenlider, sein Geist schien abzuschweifen, in das Krankenzimmer seiner Frau zu wandern und dort zu verweilen. Er seufzte, dann fuhr er fort: »Als ihr alle dann das Zimmer verlassen hattet, da sagte deine Mutter, diese wunderbare Frau, zu mir: ›Du wirst mich nicht lange vermissen müssen, denn du hast ja Florence, und denke daran, Efrem‹, so sagte sie, ›Florence ist wie ich.‹« Er wandte den gewaltigen Kopf zu seiner Tochter und sah sie mit einem Blick an, aus dem die Liebe troff wie das Wasser vom Maul einer saufenden Kuh. »Florence«, fuhr er fort, »eine Sterbende kann nicht lügen, und deine Mutter hat auch nicht gelogen: Sie starb, und sie sah das Leben voraus. Vielleicht sind wir überhaupt niemals so nah am Leben, wie wenn wir sterben.«
    Diese Reflexion stand nicht im Manuskript, Herr Gutmann hatte sie während des Sprechens empfangen, hing ihr in Gedanken nach und ließ auch seinem andächtigen Publikum Zeit, das unverhoffte Geistesgeschenk zu verdauen. Er pflegte es zu beklagen, wenn ihm später Komplimente gemacht wurden, daß ihm seine besten Einfälle nun einmal beim Reden kämen: »Und dann schreibt es natürlich keiner mehr auf. Es wird gehört, es gefällt, |337| und es wird vergessen. Wir können es uns eigentlich alle nicht leisten, dermaßen großzügig mit unseren Erkenntnissen umzugehen.« Im geheimen genoß er jedoch diese Art von Umgang mit seinen Aperçus, denn er verschaffte ihm die Empfindung verschwenderischer Geistesfülle: »Ich habe eben Gedanken in solcher Menge, daß rechts und links vom Erntewagen die schönsten Früchte achtlos zu Boden fallen, weil ich meine Fahrt nach vorn nicht für einen einzigen Augenblick unterbrechen darf, um sie aufzuheben; aber die, die sich danach bücken, sind für lange Zeit wohlversorgt.« Nun, das waren Gedanken für eine einsame und schlaflose Nacht. Jetzt aber war er nicht einsam, sondern von sechshundert auf seine Kosten speisenden Menschen umgeben, in tausendfachem Lüster- und Blitzlichtglanz, im Hochgenuß des Vateramtes waltend.
    »Florence, du wurdest wie Mami, und wenn ich dich heute im weißen Kleid vor mir sehe, dann denke ich daran, wie es war, als ich Mami heiratete, wie schön sie war, wie stolz sie war, und ich muß mir die Augen reiben, sonst glaube ich noch, daß all die Jahre, in denen ich dich, kleine Flo, habe heranwachsen sehen, nur ein Traum waren und daß ich selbst hier als dein Bräutigam sitze und nicht ein einfacher alter Mann bin, der sein Leben hinter sich hat und der glücklich sein muß, so prächtige Kinder zu haben. Alfred zum Beispiel, der mehr Box- und Baseballpreise von der Universität mit nach Hause gebracht hat, als ich alter Mann noch Haare auf dem Kopf habe, und Ernest, unser kleiner Einstein, das Wunder seines Jahrgangs in Yale, und meine brave Blanche, die ihrem Vater schon zwei männliche Enkelkinder geschenkt hat, und schließlich dich, mein Blümchen, Ebenbild deiner Mutter und noch ein bißchen mehr, denn ich habe dich gezeugt.«
    Auch dieser tiefere Grund für die Wertschätzung seiner Tochter fiel Herrn Gutmann erst beim Reden ein, überzeugte ihn aber sofort. Wenn er recht darüber nachdachte, welche Vorzüge seiner verstorbenen Frau zu deren häufig von ihm im Munde geführten Vollkommenheit wohl fehlen mochten, dann blieb eigentlich nur übrig, daß sie keine Gutmann war. Das hatte Florence ihr |338| ohne Zweifel voraus, und das wollte er dann auch einmal gesagt haben. Bei Licht besehen kam es ohnehin auf die anderen Eigenschaften nicht an. Diejenigen seiner Frau hatte er schon deshalb nicht wirklich kennenlernen können, weil um die geringe Zeit, die ihm bei seinen vielfältigen Unternehmungen für die Liebe blieb, zahlreiche andere Frauen zusammen mit Frau Gutmann warben und weil er versuchte, diesen Verpflichtungen mit hausväterlicher Gerechtigkeit zu entsprechen. Die Kinder beschäftigten ihn weit mehr als seine Frau, wenn er auch nicht immer die Zeit fand, sie in ihren Kinderzimmern zu besuchen. Statt dessen bestellte er täglich die Personen, die mit ihrer Pflege und Erziehung betraut waren, zu sich zum Rapport, wenn gar keine Zeit blieb, sogar ins Büro, um sich über alle Lebensäußerungen seiner Nachkommen genau unterrichten zu lassen.
    Das Elefantengedächtnis, das er für die unabsehbaren Nichtigkeiten eines Kinderlebens entfaltete, erwies sich jetzt für Florence als

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