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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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fragendes »Aha?«, »So so?«, »Ach ja?« wie eine eiserne Hand den Mund des eben noch Mitteilungsbereiten verschließen konnte. Dennoch durfte auf Interjektionen nicht verzichtet werden, denn wenn sie richtig eingesetzt wurden, konnten sie dem Fluß der Geständnisse, der manchmal zu versiegen drohte, durch ein kleines motorisches Element eine stetigere Strömung verleihen. Da Florence und Tiroler nebeneinander durch das raschelnde Laub gingen, wurde sie zum Glück nicht Zeugin der Veränderung seines Gesichtsausdrucks. Das kunstvoll neutrale Brummen ihres ärztlichen Freundes hatte dagegen eine günstige Wirkung auf ihre Stimmung, da es mit akustischen Schwingungen, die ihre Magennerven ansprachen, übereinstimmte. Sie empfand jedenfalls ein angenehmes Kribbeln in sich und wünschte, daß es nicht so bald wieder aufhörte.
    »Willy ist ein eigenartiger Mensch«, so hatte Florence begonnen. Danach schwieg sie wieder und richtete ihren Blick auf den Boden, der eben und leicht begehbar war, sich mit schwerelos im lauen Wind treibendem Herbstlaub aber so bedeckt hatte, daß Florence’ kleine Füße und schmale Knöchel manchmal unsichtbar waren, als wate sie in einem Bach. »Ich verstehe zum Beispiel nicht, daß ein so beherrschter und auch geschmackvoller Mann wie Willy einfach nicht einsehen will, daß er nicht zum Redner geboren ist. Als ob das eine Schande wäre, nicht wahr, wir haben alle unsere kleinen Schwächen.« Diese Bemerkung war nicht so |333| wörtlich zu nehmen, weil das Gefühl ihrer inneren Gemeinsamkeit jede unschuldige kleine Pflanze von Skepsis zertreten hatte. Florence hob ihren Kopf und sprach mit einer gewissen Entrüstung in den Wald hinein: »Wie kann ein Mensch sich eigentlich gern reden hören – wenn er einfach schlecht spricht? Ich tue, was ich kann, um zu verhindern, daß er eine Rede hält, aber meinen Sie vielleicht, das hätte ihn nachdenklich gemacht? Können Sie verstehen, daß man niemals die eigene Einstellung zur Realität überprüft, wenn man ständig von kompetenter Seite Korrekturen empfängt? Aber so ist er. Da ist eine Stumpfheit, eine Borniertheit, eine in Charaktereigenschaften begründete Grenze der Intelligenz.«
    »Hm, hm«, brummte Dr. Tiroler, denn er spürte, daß Florence vielleicht bereuen könnte, zu weit gegangen zu sein und nicht mehr weiter sprechen würde. Tatsächlich vollzog sie eine leichte Schwenkung, wenngleich sie mittlerweile in Fahrt geraten war und ein Verstummen nicht in Aussicht stand.
    »Willy ist bei all seinen Schwächen natürlich eine Persönlichkeit, er ist eine glänzende Erscheinung.« Das fand Tiroler übrigens ganz und gar nicht, er fürchtete aber, wenn er darüber zu argumentieren begann, das Mißtrauen der schönen Florence zu erwecken, und fühlte sich ohnehin nicht dazu disponiert, anderen Männern das gute Aussehen abzusprechen.
    »Und dann sein Sinn für die Kunst, seine Sicherheit in den Fragen der Malerei! Gut, Sie werden da vielleicht anderer Ansicht sein, und Sie haben von Ihrem Standpunkt aus gesehen natürlich recht.« Florence, der jegliche Kunstausübung zum entbehrlichsten gehörte, wofür Menschen jemals Geld ausgegeben hatten, war deswegen noch lange nicht blind. Der Unterschied zwischen Willys Spät- und Postimpressionisten und den von Tiroler mittlerweile favorisierten Kritzeleien im Stil der »Art brut« war ihr keineswegs entgangen, und ihre Gleichgültigkeit in diesen Dingen ermöglichte ihr schmerzlos, Dr. Tirolers Kompetenz als Kunstkritiker selbst dann anzuerkennen, wenn er damit den Bestand ihres eigenen Hauses demontieren sollte. Indessen hütete sich Dr. Tiroler beinahe ängstlich, das zu tun. Niemals hatte |334| er auch nur ein vorsichtig einschränkendes Wort zu Willys Bildern gesagt, zunächst, um Florence nicht zu verärgern, aber auch dann noch nicht, als er ihrer Gefolgschaft schon sicher sein durfte.
    Diese Abstinenz, die Florence dankbar bemerkte, so daß es nicht zu kühn wäre, darüber sogar ein stillschweigendes Einverständnis zwischen ihnen zu konstatieren, war ein Indiz für die Entwicklung ihrer Beziehung, wenn auch niemand, und erst recht sie selbst nicht, schon hätte sagen können, ob es auf ein allmählich entstehendes schlechtes Gewissen bei Florence und Tiroler hinwies oder ob sie sich vielmehr im geheimen bereits darüber einig waren, Willy im kleinen zu schonen, da ihn auf die Dauer sowieso ein größerer Schlag erwartete.
    »Willy ist der aufrichtigste Mann, den man sich denken

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