Das Bett
wenig weißt, was dich dort erwartet, denn du hast ja erzählt bekommen, von Alfred zum Beispiel, der schon ein Jahr bei unsern Partnern in Frankfurt gewesen ist, wird dir deine neue Umgebung doch zu Anfang noch fremd vorkommen. Und deshalb sollst du auch daran denken, daß die Gutmanns gar nicht so weit von Frankfurt weg abstammen. Dein Urgroßvater Meyer Gutmann ist vor langer Zeit aus Landau in der Pfalz nach unserm New York hier aufgebrochen. Du findest es vielleicht komisch, daß eine Familie, die so wie wir nach Manhattan gehört, ausgerechnet aus einem Dorf in der Pfalz abstammen soll. Aber das ist nicht komisch, meine Augenweide, das ist ein amerikanisches Schicksal. Wir alle hier sind Amerikaner.«
Herr Gutmann hätte es unhöflich gefunden, wenn er Willy und seinen Vetter Eddy an dieser Stelle eigens und mit besonderen Worten ausgenommen hätte, und dachte sich, daß Willy diese Courtoisie wohl zu schätzen wissen würde. »Erheben wir also unsere Gläser«, sagte Herr Gutmann, »und trinken wir auf die Zukunft Amerikas, auf die Zukunft meiner bezaubernden jungen – dieses bezaubernden jungen Paares, und denken wir |341| auch an Meyer Gutmanns ausgezeichnete Idee, Landau in der Pfalz den Rücken zu kehren.«
Der Beifall prasselte mit einer Wucht, die verriet, daß die erschöpfte Zuhörerschar durch die simple Motorik des Händeklatschens wieder in Schwung zu kommen hoffte. Florence schien es, als schwanke der Saal wie ein Schiffsdeck, aber dieser Eindruck hatte seinen Grund wohl nur darin, daß alle Herren sich hintereinander von ihren Stühlen erhoben und ihre Gläser leerten, nachdem sie in die Richtung des Brautpaares geprostet hatten. Florence hielt ihrem Vater die pochende Schläfe zum Kuß hin, aber sie spürte nicht einmal das Kratzen seines parfümierten Spitzbartes, ihre Haut war wie anästhesiert. Dennoch war das große Entsetzen, das sie während des längeren Teils seiner Rede erfüllt hatte, geschwunden. Sie war erleichtert, aber nicht wegen des Endes der Ansprache. Sie war eigentümlich frei, ohne zu wissen warum.
Florence hatte ein seltenes Erlebnis gehabt. Die Rede ihres Vaters hatte sie zunächst in Verzweiflung gestürzt. Jedes seiner Worte prägte sich wie ein glühendes Schandmal in sie ein. Ihr Körper revoltierte unter den rhetorischen Schlägen, ihr Herz verließ seinen zuverlässigen Rhythmus. Ihre Konzentration auf die Sätze, die sie hören mußte, wurde übernatürlich. Mit der Sensibilität der Kokainschnupferin tauchte sie in jede einzelne Redewendung ein, sie badete unter Qualen in einem Sprachmeer, das sich mit Assoziationen, entlegenen Einfällen, lächerlichen Hoffnungen mischte. Ihre Tatentschlossenheit, auf die sie sonst stolz war, versagte. Sie träumte hilflos davon, aufzustehen und den Vater irgendwie, mit Gewalt vielleicht sogar, zum Schweigen zu bringen. Florence begann schließlich Ausrufe zu murmeln, die Gebeten ähnlich waren, eine erstaunliche Handlung schon deswegen, weil Florence niemanden kannte, zu dem sie hätte beten können.
»Mach, daß er aufhört. Mach, daß er den nächsten Satz nicht spricht«, sagte Florence in der Stunde ihrer Erniedrigung, und kurz darauf entsann sie sich telekinetischer, parapsychologischer Phänomene, die die Übertragung reiner Willenskraft auf einen |342| ahnungslosen Zweiten betrafen, Theorien, die sie bisher verachtungsvoll ignoriert hatte, um jetzt zu ihnen ihre letzte Zuflucht zu nehmen: »Hör auf, mach deinen Mund zu und setz dich«, dachte Florence mit aller Kraft und einer unerwarteten Hoffnung auf Wirkung. Die Ergebnislosigkeit ihrer spirituellen Bemühungen war doppelt kränkend. Gab es die Kraft der Geister und Dämonen, dann rächten sie sich jetzt für die jahrelange Mißachtung der jungen Aufgeklärten; gab es sie aber nicht, dann war die Hinwendung zu dieser Chimäre nichts als das Eingeständnis eines Zusammenbruchs ohnegleichen.
Florence lernte, daß es eine Steigerung des Schreckens gibt, sie lernte auch, wie man das Schlimmste an Scham ertragen konnte und sich wehmütig daran erinnerte, weil kurz darauf noch Schlimmeres eingetreten war. Dann kam die Phase, in der sie das Zeitgefühl, nicht aber die Schmerzen verlor. In dieser Phase schienen die Rede und ihre Schmerzen kein absehbares Ende mehr zu haben. Ihr Blick verlor sich, und ihre Hände lagen ruhiger auf dem Damasttischtuch, das die Feuchtigkeit ihrer sonst immer trockenen Hände aufsaugte. Als der Vater ihre Brüder erwähnte, horchte sie auf,
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