Das Bett
einfach noch nicht richtig gesehen habe, und rückte ihm mit seiner Jackeninnentasche näher auf den Leib. Als dies Identifikationsmerkmal nachhaltig versagte, weil Stephan sich offensichtlich nicht damit befassen wollte, griff Frey zu seinem letzten Strohhalm und stellte sich vor: »Frey, mein Name, wenn Sie bitte entschuldigen. Ich bin der Sohn von den Freys aus der Schubertstraße, wenn Sie sich vielleicht erinnern.«
»Von den Freys aus der Schubertstraße?« fragte Stephan, wie aus einem Schlaf erwachend. »Wo der Vater Prokurist bei Adler war?«
»Grad von denen«, antwortete Dr. Frey. Er sprach eilig und leise und sah sich dabei um. »Stört es Sie, wenn wir einen Augenblick sprechen? Es muß net lang sein. Sie müssen sich keine Sorgen machen, hier weiß noch keiner, daß ich – ich mein, daß wir ...« Die vorsichtige Andeutung brachte Stephan auf. »Das geht doch mich nichts an, von mir kann das jeder wissen.«
»Sein Se doch still«, flüsterte Frey, »es ist ja net wegen Ihnen, es ist ja nur wegen mir.«
Stephan hatte eigentlich geglaubt, sich das Bild des Menschen, der sich ihm nun als der Sohn der Freys aus der Schubertstraße vorgestellt hatte, während seiner capuanischen Morgenstunden eingeprägt zu haben. Der wieselflinke Eckensteher war ihm zum regelmäßigen Zeugen seines Milchkaffees und der sich anschließenden erfrischenden kleinen Weißweine geworden. Mehr als die anderen würdevollen Patriarchen mit ihren weißen rasierten Schädeln, ihren Hosenträgern und dem unverwechselbar auf- und abschwellenden Unterhaltungston, der ihre Gespräche kennzeichnete, war Freys Anblick für ihn der Inbegriff Südfrankreichs, weil er beispielhaft eine rastlose Beweglichkeit mit beständigem Müßiggang zu verbinden wußte. Jetzt aber hätte es ihm die größte Mühe bereitet, sich Freys Gesicht vorzustellen, den er nach wie vor nicht recht ansehen konnte, weil er seine Position immer noch nicht geändert hatte. Er legte wohl |379| Wert darauf, daß es nicht so aussah, als seien sie in ein vertrauliches Gespräch versunken. Statt dessen stand aber die Schubertstraße mit einer Deutlichkeit wieder vor ihm, als sei er erst gestern zum letztenmal dort gewesen, um von ihr Abschied zu nehmen.
Die Straße besaß keine auffälligen Merkmale, ihre Häuser zeigten nicht den eklektizistischen Formenreichtum der Jahrhundertwende. Es gab keine Türmchen, keine Zinnen und keine Treppengiebel, nur solides Material, großzügige Proportionen und bürgerliche Nüchternheit. In einem der Häuser, die als einzigen auffälligen Schmuck eine maskenhaft blickende Frauenbüste über dem Salonfenster besaßen, war Dr. Frey geboren. Sein Vater hatte es zu Beginn des Jahrhunderts gekauft, obwohl es innen nicht sehr überlegt geschnitten war und obwohl es vergebliche Liebesmüh bedeutete, aus dem lichtlosen Hof eine Art Garten machen zu wollen, was die Mutter von Dr. Frey dennoch immer wieder versuchte. Schon der Begriff Villa war für das zweigeschossige Haus im Grunde irreführend. Dafür war es dann doch nicht geräumig genug, es stand auch nicht frei, sondern war nur durch Brandmauern von den anderen Häusern der Zeile geschieden. Und dennoch, es war ein hübsches Haus, es lag günstig zum Zentrum der Stadt. Die Straße gehörte zu einem gepflegten Viertel, in dem es im Frühling einen geradezu explosiven Blütenzauber zu bewundern gab, und die zwölftausend Mark, für die die alten Freys dies Haus nun notgedrungen an einen Kolonialwarenhändler verkauft hatten, waren unter keinen Umständen als ein realistischer, irgendwie zu rechtfertigender Preis anzusehen. Der Ladenbesitzer hatte das Haus übernommen und erlaubte den alten Freys immerhin, gegen eine vernünftige Miete in den hellen Mansardenzimmern weiterzuwohnen. Das war bei dem traurigen Verkauf auch für Dr. Frey noch ein erfreulicher Aspekt, als er seine Eltern verließ, um sein Glück in Prag zu versuchen. »Sehen Sie, das wissen Sie ja selbst, in Frankfurt ging es für unsereinen einfach nicht mehr, wir sind jung, nicht wahr, da hat man Pläne; den Alten macht das Neue jetzt nicht so viel aus.«
»Zwölftausend Mark?« fragte Stephan. »Das ganze Haus?«
|380| Weil dies die erste richtige Frage Stephans auf seinen hastigen und gerafften Reisebericht war, glaubte Dr. Frey, auf diesen Punkt genau eingehen zu müssen. »Eine Schande, nicht wahr? Zwölftausend Mark für so ein ordentliches Haus. Ich habe aber weiter nichts gesagt, damit die Leute die Eltern vielleicht
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