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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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utopisches Gefährt bestiegen, um die schuldige Welt in Richtung auf die Galaxis zu verlassen. Stephan hatte die Orientierung verloren. Er wußte nicht einmal, ob sie von rechts oder von links gekommen waren, als Potterton hatte halten lassen, weil ihm die windgebeugten Brombeerbüsche einen guten Windschatten für ihre kleine Reisemahlzeit zu bieten schienen. Welch freundlicher Abschied! Das Auto war warm, im Mund hatte sich ein zarter Geschmack kostbarer Speisen mit dem milden Salz des Speichels gemischt. Jetzt begann es, während die Maschine draußen leise zischte, nach Kaffee zu duften. Sie würden ihn aus kleinen Nickelbecherchen trinken, die Potterton schon auseinandergeschraubt hatte. Obwohl der Espresso kräftig gebraut war, hatte er keine aufputschende Wirkung auf Stephan. Die leichte Schläfrigkeit, die ihn nach jedem Mahl befiel, blieb auch diesmal nicht aus, und da Potterton es sich nicht nehmen ließ, alle benutzten Gegenstände selbst zu reinigen und wieder zu verpacken, |397| gab Stephan dieser Müdigkeit nach und schlief, eingekeilt zwischen einer Schreibmaschine und einem Aktenkoffer, sanft ein. Als er erwachte, fiel sein benommener Blick auf die golden in der Abendsonne funkelnde Kuppel einer großen Moschee.
    Diese Moschee wurde in den nächsten Wochen seine Zuflucht. Vichy war, von der Moschee abgesehen, kein Ziel, das den Hoffnungen, die die Reise mit Mr. Potterton geweckt hatte, Genüge tat. Kaum, daß sie angekommen waren, mußte Stephan schon fürchten, in der Woge des über ihn hereinbrechenden Kollegengeschwätzes zu ertrinken. Vichy kam ihm vor wie das chemische Destillat des diplomatischen Lebens schlechthin: Was nicht notwendig zur Diplomatie gehörte, war kunstvoll und zugleich radikal aus dem Leben entfernt worden. Die politische Maschinerie, die hier auf hohen Touren lief, der man aber das entscheidende Zahnrad entfernt hatte, das ihre rasende Bewegung einem größeren Gefüge mitzuteilen bestimmt war, stand unter einem Glassturz, und Stephan wehrte sich mit all der Kraft, die seinem Phlegma zur Verfügung stand, dagegen, mit den anderen unter diesen Glassturz zu geraten, denn seinem Lebensgefühl widerstrebte es, sich der Macht kollektiver Träume hinzugeben: Er zog es vor, auf eigene Faust ein Narr zu sein.
    Auf einem weißen Stühlchen in der Nähe der Goldkuppel des Grand Établissement Thermal, das in Ermangelung von Kurgästen bis auf weiteres geschlossen blieb, ließ er sich, indem er ägyptische Zigaretten rauchte, weit aus Vichy forttragen.
    Stephan dachte nicht an die Störche des Nils, er dachte nicht an Buchara und Samarkand, wenn er am frühen Nachmittag, noch halb taub von dem Gesprächsgewirr des Mittagessens, die goldene Kuppel betrachtete. Auch die Märchen von Tausendundeiner Nacht blieben unbeschworen, denn Feen und Dämonen hatten in der Phantasie Stephans niemals eine Rolle gespielt, nicht einmal Agnes hatte ihm den Sinn dafür geöffnet, weil sie nie Märchen erzählte, sondern immer nur über ihr altes Dillenhausen sprach, das sich für Stephan schon phantastisch genug ausnahm. Als Stephan die Moscheekuppel des Grand Établissement |398| Thermal zum erstenmal sah, hörte er eine Zaubermusik, die kein Komponist geschrieben hatte, die vielmehr, ähnlich der Musik, die aus der Reibung der Sphärenschalen entstand, eigentlich ein Geräusch war, sich aber tiefer in Stephans unmusikalisches Gemüt eingeprägt hatte, als es die eingängigste Swingmelodie vermocht hätte.
    Stephan hatte diese Musik bei seinem ersten Besuch in New York vernommen, als er auf der Straße in der Nähe der Wall Street vor einem turmhohen Bankgebäude auf Willy wartete, der mit ihm zu Mittag essen wollte. Es war ein warmer Tag. Stephan fühlte sich frei und wohlgelaunt, denn er hatte den ganzen Vormittag allein verbracht. Und alsbald erlebte er die Aufführung dieser unvergeßlichen Tonfolge, die ihm beim Anblick der blattvergoldeten Kuppel des Thermaletablissements von Vichy so tröstlich wieder ins Gedächtnis trat und deren Wiederbelebung ihm die Nachmittage in der geisterhaften Hauptstadt vertrieb und versüßte.
    Ein gepanzerter und vergitterter Lastwagen fuhr vor, aus dem Panzerkasten sprangen zwei Uniformierte mit Maschinenpistolen unter dem Arm. Stephan erkannte nicht gleich, was aus dem Lastwagen geladen wurde, er sah nur, daß es schwere Gegenstände waren, in der Art von Backsteinen, die auf einem Karren akkurat gestapelt wurden. Mit jedem dieser Backsteine aber, die in

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