Das Bett
dem überheizten Hotelzimmer verbrachte, und in den Cafés ergaben, die er schon nicht mehr aufzusuchen wagte, weil mit Sicherheit alsbald ein paar bekannte Gesichter auftauchten, um ihn zu fragen, ob er glaube, daß die Vereinigten Staaten doch noch in den Krieg gegen Deutschland einträten, oder ob er es für möglich halte, daß Roosevelt ein Geheimabkommen mit Hitler zur Bekämpfung des Bolschewismus geschlossen habe. Draußen aber war es naß und ungemütlich und nicht zu Spaziergängen animierend, obwohl die Stadt, abgesehen von dem aufgeregten Scheinleben rund um das »Hotel du Parc«, wie ausgestorben dalag und man auf den Gängen durch den Quellengarten kaum einem Menschen begegnet wäre.
Als Stephan zusammen mit Mr. Homan Potterton, dem Botschaftsrat, beinahe als letzter der ganzen Botschaft, abgesehen vom Botschafter selbst, in Vichy ankam, glaubte er zunächst noch, dem Aufenthalt in der Auvergne etwas abgewinnen zu können. Mr. Potterton war zwar gewöhnlich ein bis zur Steifheit würdevoller Staatsdiener mit an den Kopf geklatschtem Haar |395| und einer Korrektheit im Auftreten, die Stephan vom ersten Tag an eingeschüchtert hatte, weil er in ihr den lebenden Vorwurf des arbeitsamen Professionellen gegen die eigene dilettantische Hilflosigkeit sah, zeigte auf der Autofahrt nach Vichy jedoch auf einmal die andere Seite seines ungenialen, aber pflichtbewußten Charakters: Er hatte für einen Picknickkorb gesorgt, der die Lage der beiden Reisenden im vollbepackten Wagen zwar zunächst keineswegs bequemer machte, der sich bei seiner Öffnung in der Nähe von Blois jedoch als ein kunstvoll komponiertes Wunderwerk der großen Küche erwies.
Homan Potterton hatte alten Burgunder mitgenommen, dazu eine große Geflügelpastete in der Kruste, Sandwiches mit Mousse au jambon und Mousse au saumon, um Appetit zu machen, und einen flachen Karton mit einer geleebedeckten Apfeltorte als Dessert. Er verlor beim Auspacken des Korbes keineswegs die leicht gereizte Konzentration, die allen seinen Handlungen anhaftete, aber der Umstand, daß er nun nicht mit einem Telephonhörer oder einem Aktendeckel operierte, milderte Stephans Urteil über den gefürchteten »Eisschrank«, wie Potterton von seinen Kollegen genannt wurde. Er entdeckte in ihm nun den feierlichen Genießer, wie er unter ältlichen, resignierenden Zölibatären anzutreffen ist, und er scheute sich nicht, seinem Reisegefährten ein hohes Lob zu spenden, während Potterton mit gerunzelter Stirn überwachte, daß Stephan auch von allem versuchte und sich im Genuß nicht zurückhielt. Als die Geheimnisse des Korbes erschöpft schienen, kam es zu Homan Pottertons Triumph. Er holte aus einem Etui eine Art strahlend vernickelter Bombe hervor, öffnete die Autotür und suchte ein ebenes Plätzchen, um das Gerät senkrecht aufstellen zu können, nachdem er ein System feiner Röhrchen zusammengeschraubt und der Nickelkapsel aufgepflanzt hatte. »Ich habe sie noch niemals ausprobiert, es soll aber kinderleicht sein«, sagte er, und Stephan fürchtete, daß Potterton, der mit der Ungeschicklichkeit eines Riesen, der die Wirkungen seiner Kraft nicht kennt, an den feinen Leitungstellen herumzerrte, die Röhrchen verbiegen oder zerbrechen könnte.
|396| »Dies ist ein Geschenk vom italienischen Militärattaché«, sagte der ins Schwitzen geratene und immer ungeduldiger montierende Potterton, »eine Espresso-Maschine für Offiziere; diese hier war nach seinen Worten schon bei den Kämpfen um Duino dabei – kennen Sie zufällig Duino?« Dabei sah er Stephan scharf an, während ihm eine dünne, fette Haarsträhne ins Gesicht fiel. »Ein schönes Fleckchen Erde gewesen – vorher. Nachher –« Er schloß seinen Satz mit einer Bewegung, als schlage er mit der Handkante einen zierlichen Spielkartenpalast zusammen. »Und so wird es bald überall aussehen. Hoffentlich haben Sie sich noch mal gut umgesehen.«
Sein Gesicht kam Stephan wie ein großer weißer Mond vor, als Potterton diese apokalyptische Vision verkündete. So spricht ein Lehrer, der dem Gestotter eines Schülers eine Weile zugehört hat, in die Stille der Klasse hinein mit eiserner Ruhe: »Setzen! Sechs!« So fühlte Stephan sich durch Potterton zensiert, als ob dieses böse Ende Europas auch ihm zuzuschreiben sei oder doch jedenfalls auch eine Stephan zugedachte Bestrafung enthalte.
Es war ein dunkler Tag. Stephan glaubte plötzlich, mit Homan Potterton durch die Luft zu reisen, als hätten sie beide ein
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