Das Bett
ich Ihnen selber net.«
»Dann bleibt zum Schluß noch Dableiben und Abwarten«, sagte Dr. Frey und machte eine Handbewegung, als lege er seine letzte Karte auf den Tisch. »Es sind noch ein paar Tage Zeit, und vielleicht wird nicht jeder aufgerufen. Vielleicht kann man auch einen Antrag stellen, irgend etwas nachweisen, oder«, sagte er mit Galgenhumor, »ich heirate vielleicht noch schnell.«
Dr. Frey hoffte wohl, daß Stephan mit ihm über seinen Witz lachen würde, aber sein Gegenüber war abgelenkt. Die Glastür des »Hotels Midi« hatte sich nämlich geöffnet, und heraus trat in einem weißen Leinenkleid mit einer großen Badetasche Aimée, die sich geblendet umsah, Stephan im Schatten der Caféterrasse entdeckte und dann hinüberging. »Oh, da kommt Frau Korn«, sagte Dr. Frey respektvoll. Die beiden Männer standen auf, um Aimée zu begrüßen.
»Ich bin in der Badewanne ertrunken«, sagte Aimée. Dr. Frey stellte sich selbst vor, und Stephan steckte seine Hände wieder in die Hosentaschen. »Störe ich euch?« fragte Aimée und betrachtete Dr. Frey und Stephan mit ihren kühlen Augen. »Aber was«, antwortete Stephan, »wir haben nur geschwätzt. Herr Frey, ich mach’ mir mal ein paar Gedanken. Wir sehen uns wieder.«
|393| Frey schenkte Aimée einen schwärmerischen Blick beim Abschied. Er sah aus, als habe er bei ihrem Anblick das dürftige Gespräch mit Stephan vergessen.
»Wohin mag er jetzt wohl gehen?« dachte Stephan und sah dem zielbewußt davoneilenden Frey nach, bis die kleine Gestalt unter den Platanen der Hauptstraße verschwunden war. Aimée holte ihn aus seinen Gedanken: »Ich hab’ Hunger«, sagte sie, »aber ich weiß nicht, worauf ich Lust habe.«
»Ich find’ schon was.«
»Dann streng dich mal an«, sagte Aimée in einem Tonfall, der keinen Zweifel daran ließ, daß sie dem Ergebnis seiner Bemühung ungeduldig entgegensah.
Daß Stephan und Aimée nun schon monatelang zusammen lebten, war ihnen beiden nicht richtig klargeworden. Sie lebten ohne Erinnerung und ohne Pläne in den Tag hinein, sie sprachen nicht über sich und ihre Gefühle, und sie empfanden vielleicht nicht einmal, wie anders ihr Leben geworden war, seit sie sich gefunden und nicht mehr voneinander getrennt hatten. Sie waren wie zwei Kletten, die der Herbstwind zusammengetrieben hat, die nun ineinander verhakt sind und eine Weile auf den Kieswegen eines Parkes hin und her rollen, bis ein Junge sie aufhebt und auseinanderreißt, weil er sie zwei kleinen Mädchen, die in der Nähe spielen, ins Haar setzen will. Keiner von beiden hätte sagen dürfen, daß er den andern erobert habe. Selbst ob sie verliebt seien, hätten sie wohl nicht zu sagen gewußt.
Einige Stunden, nachdem sie sich kennengelernt hatten, war entschieden, daß sie sich so bald nicht verlassen würden. Stephan glaubte, wenn er sich später zu erinnern suchte, dieser magische Augenblick sei bei ihnen beiden in genau derselben Minute eingetreten. Seine Täuschung war verzeihlich, denn Aimée hatte ihm nicht gestanden, daß sie bereits bei seinem Eintreten in das halbdunkle Zimmer, in dem sie sich begegneten, in ein unruhiges Nachdenken darüber verfallen war, ob und wo sie ihn schon einmal gesehen habe, zu einem Zeitpunkt also, in dem Stephan sie noch gar nicht näher ansehen konnte, denn Aimée war ihm vom Hausherrn nicht vorgestellt worden, und Stephan |394| konnte nur eine vage Verbeugung in ihre Richtung machen, während er auf die Fragen des Künstlers antworte.
Stephan hatte eine ziemlich lange Autofahrt hinter sich, denn sein Chef, Admiral Leahy, residierte seit der französischen Niederlage nicht mehr an der Place de la Concorde, sondern war mit einer langen Lastwagenkolonne nach Vichy ausgewichen, wo sich sein immer noch recht zahlreicher Stab auf der ersten Etage eines großen Kurhotels zusammendrängte. Stephan haßte die Atmosphäre von Vichy, wie sie sich durch die zwangsläufigen Provisorien ergab, die der überhastete Umzug der Regierung in den alten Badeort mit sich brachte. Die Welt von Vichy schien für Stephan ausschließlich aus Männern zu bestehen, düsteren, ernsten, wichtigen Männern, voller Pläne, Überzeugungen, Informationen und geheimer Aufträge. Vor allem war es beinahe unmöglich, dem aus dem Weg zu gehen, was Stephan am meisten fürchtete: den Diskussionen nämlich, die sich bei den gemeinsamen Mahlzeiten, an den Vormittagen, die Stephan fast beschäftigungslos und ein wenig geniert mit vier weiteren Mitarbeitern in
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