Das Bett
war. Vor allem enthielt sie einen Dollarvorrat, den er bisher noch nicht angebrochen hatte. Gerade wollte er sich ermannen und den Redefluß von Dr. Frey mit der barschen Frage: »Also wieviel wollen Sie von mir?« unterbrechen, als Dr. Frey sagte: »Daß dieser Paß, um den ich so herumgelaufen bin, mich jetzt noch ins Unglück bringen soll. Mein Geburtsort ist dort mit Straßburg angegeben, sehr geschickt, damit kann ich hier meinen Akzent erklären. Ei, von wegen. Straßburg gehört jetzt wieder zu uns, und die Elsässer werden gezogen, in die Wehrmacht oder zum Arbeiten ins Reich. Wir bekämen noch Bescheid, wir sollten uns aber schon mal bereithalten. Wenn ich noch verheiratet wär’, das könnte man angeben, ist gesagt worden. Da gäb es vielleicht Aufschub. Aber geheiratet hab’ ich grad nicht. Ich war in Prag kurz davor, aber in den Zeiten, hab’ ich gedacht, schlägt sich jedes besser allein durch, und später mal, wenn alles vorbei ist, kann man sehen, ob es noch geht. Jetzt frag’ ich Sie, Herr Korn, Sie kennen sich aus – was soll ich machen?«
Stephan mußte lächeln, kein Lächeln der Schadenfreude selbstverständlich, aber ein Zeichen, daß ihn die schreckliche Komik dieser Verstrickungen unwillkürlich reizte. Er versuchte das Lächeln dadurch zu mildern, daß er eine Grimasse schnitt, |391| die Frey sich auslegen mochte, wie er wollte, durch die er sich aber nicht mehr verhöhnt vorkommen mußte. Er sitzt richtig im Loch, dachte Stephan, aber die Erscheinung Freys hinderte ihn, die ganze Bedeutung dieses Urteils zu ermessen. Frey besaß zu viel Geschicklichkeit, er wirkte zu wendig und zu servil, als daß Stephan ihn eines tragischen Schicksals für wert empfunden hätte. Freys Zwickmühle war das Ergebnis eines verlorenen Spiels, das dieser mit List und Tücke viel weiter getrieben hatte, als es nach menschlicher Voraussicht denkbar gewesen wäre, das er aber schon deshalb nicht gewinnen konnte, weil er seine Nase zu tief in den Straßenstaub gedrückt hatte, um Spuren zu suchen und zugleich niemandem aufzufallen, und weil er sich niemals aufgerichtet und die Lage in ihrer Komplexität studiert hatte. Stephan wehrte sich übrigens gegen dieses Gefühl der Genugtuung, das ihn bei dem letzten Teil der kummervollen Erzählung Freys beschlichen hatte. Er war kein schlechter Mensch, und wenn er sich auch bei den Hasenjagden, die einer seiner Frankfurter Freunde, der einen Besitz in der Wetterau hatte, in jedem Herbst veranstaltete, ebenso über die raffinierten Haken der Hasen amüsieren konnte wie über ihren kleinen Purzelbaum, der anzeigte, daß der Schrot sie tödlich getroffen hatte, gab es in seiner Seele doch eine Schranke, die ihn hinderte, ein solches Vergnügen auf menschliche Verhältnisse zu übertragen.
»Vier Möglichkeiten habe ich mir ausgerechnet«, flüsterte Dr. Frey und beugte sich über den Tisch. »Der Bischof von Toulouse hat ein Schloß, wo fast hundert von uns wohnen sollen. Aber da weiß man erstens nicht, ob sie mich noch nehmen, und zweitens, ob das nicht doch eines Tages eine Falle ist. Wissen Sie, ich bin nie gerne da, wo noch so viele andere sind. Dann könnte ich versuchen, nach Spanien zu kommen.« Stephan machte ein betroffenes Gesicht, denn es dämmerte ihm, daß Frey vielleicht noch viel mehr von ihm verlangen könnte als Geld, und Frey beeilte sich denn auch gleich hinzuzusetzen, daß er zu Fuß zu gehen denke. »Dabei ist aber eine Gefahr: Die Spanier kontrollieren einen Streifen von hundert Kilometern hinter der Grenze. Wen sie da erwischen, den liefern sie aus, wer da |392| durchkommt, der darf bleiben.« Diese Behauptung kam Stephan wie ein echtes Flüchtlingsgerücht vor. Er konnte sich nicht vorstellen, daß es auf der spanischen Seite eine solche Vorschrift geben sollte, aber er trat dem, was er für die auswuchernde, weltfremde Phantasie eines naiven Schlaukopfs hielt, nicht entgegen, denn er hatte nicht vor, Dr. Frey große Lust auf Spanien zu machen. »Ich glaube, die hundert Kilometer halte ich nicht durch«, sagte Dr. Frey, und Stephan nickte bedenklich mit dem Kopf.
»Dann wäre natürlich die Möglichkeit, nach Deutschland zu gehen, denn ich habe ja meinen neuen Paß. Vielleicht könnte ich dann auch was für die Eltern tun. Aber wenn mich einer erkennt ...« Dr. Frey versagte sich, Stephan die Folgen seiner Entlarvung in Deutschland auszumalen, und Stephan bestärkte ihn in seinen Sorgen und sagte: »Also zurück nach Deutschland – dazu rat’
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