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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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regelmäßigem Rhythmus aufeinandergesetzt wurden, erklang ein wundersames Klicken. Dies Klicken hatte etwas Verwandtes mit dem Ton, den die höchste Taste des Klaviers hervorbringt, beinahe stumpf, nicht mehr imstande, in sich zu schwingen, und doch war es viel voller im Körper, denn es wurde nicht von der kürzesten Metallsaite eines Pianos produziert, sondern verfügte über ganz andere Resonanzmöglichkeiten. Was Stephans Wall-Street-Klicken und das Klicken der Klaviertaste unterschied, stand auch zwischen der Stimme eines ausgebildeten Kastraten und dem Gesang eines weiblichen Soprans. Einst wurden die Kenner beim Hören der Kastratenstimme zur Raserei gebracht, gewiß durch ihre Ähnlichkeit mit der weiblichen Stimme, nur daß sie dem Zauber des Soprans noch einen unfaßbaren Reiz |399| hinzufügte, der die Hörer süchtig und die singenden Eunuchen reich und mächtig machte.
    So rührte das Klicken, das Stephan seit seinem ersten Erklingen auf der frühlingshaften Wall Street nicht mehr vergaß, von Klangkörpern her, deren Beschaffenheit auch ohne die Musik, die sie von sich gaben, auf die meisten Menschen anregend wirkte: Die backsteinartigen Blöcke, die auf den Karren geladen wurden, waren große Goldbarren, deren Gewicht wie auf einem Riegel Kochschokolade in die Vertiefung der Oberseite deutlich lesbar eingeprägt war. Stephan, der von Jugend auf an den leichtfertigen Umgang mit Geld gewöhnt war, vermochte dennoch die ganze romantische Kraft einer Anhäufung puren Goldes zu empfinden. Seine Vorstellung verstieg sich beim Anblick der Moscheekuppel von Vichy in immer beglückendere Konstruktionen, denen, wie allen seinen ungehemmten Träumereien, eine technische Note beigegeben war.
    Stephan saß wieder in seinem Doppeldecker und zog seine Kreise über den auvergnatischen Hügeln, scheinbar ohne das Objekt seiner Sehnsucht, die weithin blitzende Goldkuppel des Thermaletablissements, näher zur Kenntnis zu nehmen. Langsam ging er tiefer, und die Kuppel entwickelte sich von oben gesehen zu ihrer vollen Pracht, sie war wie eine riesige Glocke, die eben fertiggegossen ist und nun auf das Turmgerüst geschafft werden soll, für das sie angefertigt wurde, ohne dort natürlich jemals geläutet werden zu dürfen, weil bei ihrem urtümlichen Dröhnen nicht nur der Turm selbst, sondern ganz Vichy einstürzen würde. Stephan hat sich genähert, er schwebt über der Kuppel, er ergreift einen auf dem eisernen Boden hin- und herrutschenden backsteingroßen Goldbarren, und er wirft ihn über dem dicken Knopf, der den höchsten Punkt der Kuppel markiert, ab. Der Barren fällt in Zeitlupentempo, als teile er der Luft etwas von seiner Schwere mit, und nun muß er gleich aufschlagen, und das schreckliche Dröhnen, das die Mauern so mühelos zerreißt wie die Trommelfelle, wird sich in einem vernichtenden Crescendo entwickeln – ja, dies war Stephans kostbarster Augenblick. Er versuchte, seine Dauer zu Minuten zu dehnen, obwohl |400| seine Wirkung eigentlich gerade in seiner Kürze bestand. Das Dröhnen blieb, immer wieder neu überraschend, einfach aus, und statt dessen hörte Stephan nichts weiter als das ersehnte »Klick«, woraufhin sich die Kuppel mühelos aus ihrer Verankerung löste und leicht wie eine Billardkugel davonrollte.
    Einmal wurde Stephan während dieser in seiner Arbeitszeit gefeierten Ruhestunden von Mr. Homan Potterton angetroffen. Das war nicht angenehm, denn Mr. Potterton hatte seine Umgänglichkeit wieder verloren, auf die Stephan seit ihrer gemeinsamen Reise setzte, ganz ohne Recht nebenbei, denn das Genießertum war keine schwache Stelle des »Eisschranks«, sondern sogar eine besonders starke, derer er sich nicht nur nicht schämte, sondern der er mit eifersüchtiger und eigensüchtiger Sorgfalt in jeder Lebenslage zu entsprechen suchte, und wäre die Welt darüber untergegangen. Mit der gleichen eisernen Disziplin unterwarf sich Potterton auch den tückischen Regeln der französischen Aussprache. Stephan beobachtete, wie er, wenn der französische Terminus nahte, unmerklich innehielt, dann wie ein Springreiter in hohem Bogen über das Hindernis setzte und beinahe fehlerlos wieder auf dem Boden des Englischen landete, wenn man von den amerikanischen Vokaltrübungen absah, die für Stephan Pottertons Sprache aber noch elitärer wirken ließen.
    Aber jetzt im Park unter den kunstvoll beschnittenen Platanen in der Nähe des Grand Établissement Thermal war nicht von Mousse au jambon oder Mousse au

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