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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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des Kirchgangs unwiderruflich vorbei, |459| weil ihr Glaube an irdische Manifestationen des Herrn unlösbar an die Existenz bestimmter Immobilien gebunden war: Für Agnes lebte Gott in Dillenhausen, und sie hatte sich also ein ganzes Leben daran gewöhnt, ohne ihn auszukommen; für Ines Wafelaerts hingegen hatte Gott die Stadt Frankfurt in dem Augenblick verlassen, als ihre schöne Villa in Schutt und Asche sank. Wie auf diesem Trümmergrundstück nun nur noch ein schäbiger Kolonialwarenladen blühen konnte, hatte sie ihre religiöse Praxis auf ein Notprogramm zurückgeschraubt. Auch spürte sie in den Tagen ihres körperlichen Verfalls ein geringeres Bedürfnis nach den Wohltaten der seelischen Reinigung.
    Es verstand sich aber von selbst, daß bei meiner Tante die Frage nach der Gesellschaft im Gotteshaus nicht die geringste Rolle spielte, obwohl sie sich stets schämte, wenn sie die Erkundigungen meiner Mutter bei unserer Heimkehr nicht beantworten konnte, als ob unser gesamter Aufenthalt während der Stunden der Messe mit dieser Unwissenheit in Frage gestellt sei. Wie Frau Oppenheimer und ihre Söhne nahm ich mit meiner Tante stets in der ersten Reihe Platz, allerdings in größter Bescheidenheit, denn meine Tante rechnete sich als Lehrerin der Kinderwelt zu und kannte es nicht anders, als daß die Kinder in der Messe vorn saßen, damit sie sich nicht getrauten, unter den Augen eines gestrengen Pfarrherrn allzuviel Unsinn zu machen. Meine Tante selbst wäre freilich die letzte gewesen, die eine Aufsicht über die Kinder in den ersten Reihen hätte ausüben können; die Andacht, in die sie, kaum daß sie sich auf ihre Knie niedergelassen hatte, verfiel, ließ ihre Umgebung für sie versinken.
    Sie vergrub ihren Kopf in die Hände, wenn sie betete, und sie hielt in dieser Stellung so lange aus, daß es mir manchmal vorkam, als verliere sie während des Gebetes ihr Gesicht vollständig. Dieser Eindruck verstärkte sich durch ihr Aussehen, wenn sie schließlich die Hände wieder wegnahm. Sie war rot und zerdrückt im Gesicht und trug den benommenen Ausdruck der Menschen, die aus bleiernem Schlaf erwacht sind und sich noch nicht wieder in ihrer Umgebung zurechtfinden. Ich glaubte dann, ihr Gesicht könne wie eine weiche Maske in ihren Händen |460| zurückbleiben, während sich der Kopf in einer glatten Rundform zwar weiterhin mit braunen Locken und Baskenmütze, jedoch ohne Augen, Nase und Mund darüber wunderte, was ihm wohl verlorengegangen sei. Gelegentliches Seufzen und Murmeln, das durch die das Gesicht verbergenden Hände hindurchdrang, verstärkte in mir den Eindruck, daß hier im verborgenen eine schwierige Arbeit verrichtet wurde, von deren Zielen sich keinem Außenstehenden etwas mitteilte, und wenn auch die Gebetsanstrengungen meiner Tante nicht geradezu die Ablösung ihres Gesichts zum Gegenstand hatten, war ihr Vorhaben wohl doch nicht allzu weit von einem solchen Plan entfernt, und es ist nicht verwunderlich, daß solche asketischen Kraftproben mich verängstigen und vom liturgischen Geschehen ablenken mußten.
    Gerade auch dieses Verhalten meiner Tante hatte sich in solchem Maße verändert, daß ich es nicht wiedererkannte, als ich mit ihr an dem Sonntag, der ihrem Ausflug nach Kronberg folgte, in die Messe ging, an jenem Morgen nach ihrer Erzählung über die Flugabenteuer mit Stephan Korn, nach der sie nicht mehr zum Abendessen erschienen war, seltsamerweise ohne von meinen Eltern über ihr Ausbleiben befragt oder bedrängt zu werden, wie es sonst selbstverständlich war.
    »Ach Gott, das arme Kind!« sagte mein Vater lächelnd, als meine Mutter ihm mitteilte, daß sie meine Tante heute abend nicht zu stören gedenke; sie habe auch mit Florence Korn telephoniert. »Ich weiß, ich weiß«, sagte mein Vater und sah in meine Richtung, um meiner Mutter zu bedeuten, daß er es nicht für tunlich halte, diesen Komplex in meiner Gegenwart zu besprechen.
    »Ob sie wohl trotzdem morgen mit dabei sein soll, oder ob wir besser in ein Restaurant gehen?« fragte meine Mutter gleichwohl, und ich verstand nun, daß sie, obwohl man von einem Kind gesprochen hatte, über meine Tante redete. »Ich glaube, das wäre etwas gewagt«, sagte mein Vater.
    Ich konnte nun zwar erkennen, daß irgend etwas mit meiner Tante geschehen war, das mir verborgen gehalten werden sollte, |461| es war mir aber nicht klar, daß sich etwas Schlimmes ereignet hatte, denn meine Eltern führten täglich Unterhaltungen darüber und

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