Das Bett
ihn um diese Zeit bestellt, Stephan stand auf, zog sich wieder an und sagte zu Agnes: »Auf Wiedersehen.« Er ließ sich zurück in sein Hotel fahren und verbrachte eine ruhige Nacht mit tiefem festem Schlaf.
Meine jüngere Tante, die Stephan so bereitwillig ihren Apfel hingegeben hatte, sagte, es sei »einfach rührend«, wie Stephan sich um seine Agnes kümmere. Ich glaube allerdings, daß uns damals nicht recht klar war, was Stephan den ganzen Tag über eigentlich machte. Wir empfanden es als sehr aufmerksam von ihm, daß er gelegentlich zum Mittagessen zu uns kam und daß er die ständige Einladung, die meine Mutter bei seinem ersten Besuch ausgesprochen hatte, so wörtlich nahm, daß er auch – und am liebsten – unangemeldet erschien.
Noch bevor Florence ihm nachreiste und also auch noch bevor meine Tante wieder nach Hause fuhr, ließ Stephan die Agnes sogar einmal einen ganzen Tag lang im Stich, sicher ohne ihr auch nur ein Wort zu sagen, wie ein Pilz seinem Nachbarn, mit dem er durch einen unterirdischen Strang verbunden ist, ja auch nichts sagt, wenn er gepflückt wird. Es war tatsächlich eine Art Gepflücktwerden, die Stephan zustieß, denn selbst wenn er sich später für die Unternehmung, zu der ihn mein Vater angestiftet hatte, erwärmte, lag sie ihm doch am Anfang so fern, daß nur seine Müdigkeit ihn davon abgehalten hatte, meinen Eltern zu widersprechen.
|56| Nachdem er die strapaziöse Ortsveränderung von New York nach Frankfurt, die ihm allerdings lebenswichtig erschienen sein muß, nun einmal vorgenommen hatte, achtete er genau darauf, daß nichts mehr den Rhythmus seines Tageslaufes störte, der allein ihn befähigte, die drei Telephongespräche zu führen, ohne die sein Deutschlandaufenthalt zu Hause Verdacht erregt hätte. Dabei kam ihm zunutze, daß seine Mutter sich grundsätzlich nicht in die Geschäfte ihres Mannes mischte. Hätte sie ein wenig mehr Einblick verlangt und diesen selbstverständlich auch erhalten, dann hätte sich Stephan wohl kaum in Deutschland auf eine markierende Tätigkeit beschränken können. Da sein Vater aber ohnehin nicht allzuviel von der Unternehmungslust seines Sohnes erwartete, und zwar nach einem ausführlichen Gespräch mit Dr. Tiroler, dessen Erklärungen er mit nervösem Stirnrunzeln aufgenommen hatte, war er glücklich, daß Stephans »Zustände« sich nun in einer gewissen Entfernung abspielten, von der man zudem hoffen durfte, daß sie ihm guttue. Ihm genügten die schwachen Aktivitäten, von denen eine entsprechend noch schwächere Kunde nach New York drang, um gelegentlich Rapporte an Florence zu rechtfertigen, des Inhalts etwa: »Der Junge macht sich sehr gut da drüben, er geht seine Sache richtig an. Wenn er will, dann kann er auch ein tüchtiger Kaufmann sein«, und andere wohlwollende Nachrichten mehr. Florence war diese Berichte so lange zufrieden, wie sie selbst nach Stephans Abreise erholungsbedürftig war und gleich einer chinesischen Kaiserin nur gute Nachrichten an ihr Ohr kommen ließ.
Lange Zeit betrachtete sie das Ausbleiben von Stephans früher bei Abwesenheiten täglichen Anrufen als »gutes Zeichen«. Erst allmählich ging sie dazu über, wie ein Kind an ihren langen dunkelroten Fingernägeln die Stunden abzuzählen und die mitteleuropäische Zeit auszurechnen, um Stephan vielleicht mittags zu erwischen oder den Lunch zu unterbrechen, um ihn zur Abendessenszeit im Hotel zu erreichen. Auch daß ihr das so gut wie nie gelang, beunruhigte sie noch nicht so bald, bis sie an einem regnerischen Sonntag, ohne sich von ihrem Zustand wirklich Rechenschaft abzulegen und ohne auch nur eine Minute die besänftigenden |57| Reden ihres Mannes anzuhören, alle halbe Stunde im Hotel anrief und nach Stephan verlangte.
Ausgerechnet an diesem Sonntag waren wir mit Stephan unterwegs, gerade an diesem Tag unterbrach er zum erstenmal seine Gewohnheiten, und gerade dieser Tag war ironischerweise dazu bestimmt, das Mißtrauen in Florence zu wecken, die, wie es häufig bei Personen von sicherem Instinkt der Fall ist, aus falschen Indizien die richtigen Schlüsse ziehen konnte.
Auch Stephan mag auf sein Gefühl stolz gewesen sein, das ihn vor einem Ausflug warnte, der seine Mutter veranlaßte, ihn in seinem Nest aufzustöbern.
Als mein Vater ihn, noch bevor wir zur Nachspeise gekommen waren, fragte, ob er eigentlich schon einmal in Franken gewesen sei, die Dörfer am Main sähen zum Teil noch aus, als habe es in Deutschland nie einen Krieg gegeben,
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