Das Bett
werden Sie diese Malerei niemals richtig verstehen.
Übrigens, Stephan kennt das natürlich alles. Ich hab’ manchmal gedacht, er kommt mir gar nicht mehr zurück, der Schlawiner! Ein ganz großer Herumtreiber, der versteht das Leben, das ist ein Genießer, Dr. Tiroler, da können Sie und ich uns verstecken. Ein großartiger Bursche.« Er hielt inne, weil ihm einfiel, warum Dr. Tiroler überhaupt da war. Er fürchtete auf einmal, daß seine Sätze sonderbar auf den Arzt wirken könnten. Dr. Tiroler verabschiedete sich kurz darauf.
Die eigenartige Situation, daß weder Tiroler sich Stephan als Patienten wünschte, noch Stephan sich bei dem Gedanken wohl fühlte, mit Tiroler das von seiner Mutter gewünschte Gespräch zu führen, mußte, ohne daß der eine das Unbehagen des andern bemerkte, eine Spannung entstehen lassen, die einzige Ursache für die Richtung, die das Gespräch nun nahm.
Tiroler entdeckte plötzlich den Ausdruck des kindlichen Abscheus auf Stephans Gesicht, der während des Lobes auf den Dobermann dort entstanden war und der nicht verschwand, als ihm der Arzt voll ins Gesicht sah. Hätte Stephan dem Lob widersprochen, so wäre die Wirkung niemals so ausgefallen wie das, was sich nun ereignete. Dr. Tiroler hätte vielmehr das sich im Widerspruch anbahnende Gespräch dankbar aufgegriffen, um in die Risse und Spalten dieser Sätze seine Haken schlagen zu können und schließlich ganz anderes zu behandeln als die Sympathie für eine bestimmte Hunderasse.
Ein bloßer Gesichtsausdruck war zwar schwieriger als Entgegnung zu verwerten, bot einem erfahrenen Analytiker aber noch genügend Stoff für neue Erkenntnisse. Das erstaunlichste war nun, daß Tiroler, der normalerweise auf eine ablehnende Miene mit einer vorsichtigen, stets gleichmütigen Frage einging, von dieser Regel hier Abstand nahm und nicht nur nicht fragte, sondern sich überhaupt nicht mit den ausgeformten Sätzen, die ihm tausendfach zu Gebot standen, äußerte. Als Stephan nämlich |92| keine Anstalten machte, etwas zu sagen, sprang der kleine Tiroler aus seinem Sessel auf und sprach mit wachsender Erregung: »Ach was? Ach so! Den Dobermann – den mögen Sie wohl nicht? Haha! Das kann ich mir – das kann ich mir vorstellen! Was mögen Sie denn? Na, was mag denn so einer wie Sie? Sie mögen doch sicher Pekinesen.« Er drückte sich die Nase mit dem Zeigefinger platt, versuchte Glotzaugen zu machen und begann schrill zu bellen. »Oder nein, nein, so einer wie Sie, der liebt doch sicher Möpse, der hat doch sicher sogar Möpse, haben Sie einen Mops?«
Er sprach sofort weiter, die Beantwortung der Frage nicht abwartend. Stephan hatte sich aus Nervosität, um seine Hände zu beschäftigen, eine Sonnenbrille aufgesetzt und sah nur noch wenig. Tiroler war völlig verschwunden und nur noch zu hören mit seiner Imitation eines asthmatischen Mopses, der beim Versuch, einen Sessel zu erklettern, beinahe einen Kreislaufkollaps bekommt. »Ach was!« rief Dr. Tiroler, »Sie lieben Zwergpinscher, bei so einem, wie Sie es sind, darf doch das Tier nicht größer als ein Golfloch sein.« Die letzten Worte klangen aus Tirolers Mund wie eine unerhörte Beschuldigung. »Nein!« rief er dann mit veränderter Stimme. Er hatte nämlich eine Erleuchtung empfangen, die alle seine Vermutungen wegfegte wie tote Blätter, und obschon diese visionäre Eingebung den Ausblick auf den schwersten Vorwurf öffnete, den Tiroler einem Menschen gegenüber erheben konnte, war der Lichtzauber der Wahrheit stärker als seine moralische Entrüstung, und Ergriffenheit lag auf seinem Gesicht, als er sagte: »Ich weiß es jetzt. Sie lieben Spitze.«
Stephan, der einstweilen die Sonnenbrille abgenommen hatte, setzte sie sofort wieder auf und ließ sich, wehrlos im Sessel hingestreckt, von der Vorstellung gefangennehmen, daß Tiroler im Dunkeln größer wurde als im Hellen, ein Eindruck, der entstand, weil sich der Arzt in kurzem Abstand vor Stephan aufgestellt hatte und mit seinem breiten Körper das Fenster verdeckte. »Der Spitz«, fuhr Tiroler fort, legte die Hände auf den Rücken und ging fasziniert von seinem Gegenstand auf und ab wie ein |93| Kirchenvater, der im Angesicht einer unerwarteten Versuchung die Macht des Satans staunend erkennt.
»Dieser Schmutzhund, dieser geile Zungenleckhund, dieser quietschende Kothund«, murmelte er, immer noch kirchenväterlich in neuen Epitheta das Wesen des bösen Feindes tiefer zu ergründen versuchend. »Was reizt uns am Spitz?«
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