Das Bett
fragte Tiroler und schob die herabgerutschte Brille die Nase wieder hinauf. »Am Spitz reizt uns das Halbe, das Feuchte, das Kleine. Spitze können sich sehr leicht in unser Herz hereindrängen, ohne daß wir es bemerken. Haben Sie schon beobachtet, wie ein Spitz sich putzt? Natürlich haben Sie es, Sie lieben ja Spitze – oder sollte das ein Irrtum sein? Manchmal können die Spitze uns täuschen, sie putzen sich dann heimlich, sie bekommen sofort heraus, in welchen Häusern sie sich verbergen müssen, um ihre Herrschaft nicht zu gefährden. Nun denn: Ein Spitz setzt sich zum Putzen auf seine hinteren Schenkel und stützt den Vorderkörper auf die beiden Vorderpfoten. Dann senkt er den Kopf, um sich die Brust abzulecken, und leckt in dieser Stellung mit seinem sehr wendigen Kopf so lange, bis er alles, was er erreichen kann, mit seiner Zunge berührt hat. Sodann hebt er den linken hinteren Schenkel, auf dem er bis eben noch gesessen hat, und hebt ihn hoch bis hinter sein Ohr – ohne dabei umzufallen. Fällt Ihnen immer noch nichts auf? Jetzt kann er schon an ganz andere Partien mit der Zunge herankommen, und da gibt er sich auch alle Mühe. Was jetzt noch nicht sauber ist, das kommt dran, wenn er zum Schluß auch noch das rechte Hinterbein hebt – eine Geschicklichkeit, die doch zu denken geben muß! Und dann der Anblick des Milch trinkenden Spitzes: wie die Zunge immer wieder aus dem spitzen Maul herausschlappt und die Milch sozusagen in einer Zungentasche in das Maul hineingelöffelt wird – ein widerlicher Vorgang, sicherlich –, aber woran erinnert er Sie? Und dann, weiter, ein Spitz vor einem Mauseloch. Ein richtiger gesunder Hund wird versuchen, auf Befehl seines Herrn die Maus auszugraben, das Mäuselabyrinth freizulegen und die den Rasen zerstörende Maus totzubeißen und dem Herrn zu apportieren. Die ist dann tot, die Maus. Aber was tut ein Spitz? Ein Spitz kann |94| bis zu fünf Stunden bewegungslos vor einem Mauseloch sitzen und warten – was ist das? Da hilft kein Befehl, Sie schreien ›Such!‹ oder ›Faß!‹ oder ›Grab!‹ – aber der Spitz wird Sie nicht einmal ansehen, er bewegt nur seine Rute, und das soll heißen, daß Sie den Mund halten sollen.«
Da Tiroler die Kommandos so laut gerufen hatte, daß sie der eingeschlossene Dobermann durch Portieren, Eichentüren und Zimmerdecken hindurch hatte hören können, geriet das Tier in Raserei. Kaum hatte Tiroler die Stimme gesenkt, da antwortete ihm ein derart wütendes Gebell, daß man glauben mußte, das verzweifelte Tier würde in seinem Furor noch die eigene Zunge herunterkauen. Der Hund gab Töne von sich, die an die Kleistsche Erzählung denken ließen, in der eine todesbereite Mutter einem tollen Hund in den Rachen greift, um ihm die Speiseröhre herauszureißen. Da gleichzeitig auf den Marmorfliesen der Halle der ruhige Schritt von Stöckelschuhen zu vernehmen war, wuchs in Stephan eine solche Angst, daß er die Empfindung für seinen Körper verlor. Er sah auf der mit grünen Läufern bedeckten Treppe, die hinter den schweren Türen der Bibliothek verborgen war, eine würdevolle weißhaarige Dame in zerfetztem Chanelkostüm mit dem Tode ringen, zu ihren Füßen ein halbaufgefressenes schwarzes Hausmädchen, die Haustür offen, von der Bestie selber aufgeklinkt, die hinaus in die Welt gezogen war und hinter jedem geparkten Auto und jeder Hecke lauern konnte.
»Sie merken immer noch nichts«, schrie Tiroler. »Haben Sie denn niemals einen Spitz gesehen, der bellt? Der aus seiner ehrlichen Hundeseele heraus klangvoll und sonor das Bellen nicht unterdrückt? Ah, das Gebell aus einer ordentlich breiten Hundebrust, hinter der die Muskeln zittern, mit einem Fell, das glänzt wie blauer Stahl – kein Gramm Fett am Leib –, das läßt Ihnen doch die Freudenschauer den Rücken herunterlaufen. So einem strotzenden Tier nur mit der Hundepeitsche in der Hand entgegentreten und seinen Blick auffangen, den bedingungslos ergebenen Blick eines hünenhaften Sklaven ...«
Tiroler verlor sich in Gedanken, das Gebell im ersten Stock |95| wurde schwächer. Auf einmal fuhr er auf dem Absatz herum und machte: »Miau, miau, miau!« Dann lachte er sich ins Fäustchen und sagte: »So bellt ein Spitz, Stephan, ist das wahr oder nicht? Am I right or am I wrong? Und jetzt bin ich soweit, Ihnen alles zu sagen: Spitze sind in Wahrheit nichts anderes als Katzen.« Zugleich knipste er seine Schreibtischlampe an, deren heller Schein das zarte Dämmern des Zimmers
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