Das Bett
vertrieb, als ob die Wahrheit endlich in das Halbdunkel des Aberglaubens hineinleuchtete.
Stephan nahm verstört die Sonnenbrille ab und blinzelte Dr. Tiroler an. »Das sind Katzen«, wiederholte der Arzt im Triumph, »nichts als Katzen.« Dann trat Schweigen ein, und erst als die Spannung unerträglich wurde im Zimmer, sagte der tapfere Stephan: »Ei, warum denn net?« und tat die Sonnenbrille schnell von der rechten in die linke Hand, von der linken wieder in die rechte und wieder zurück. »Warum nicht?« rief Tiroler. »Aber ich hasse Katzen!« Dann ließ er sich erschöpft in einen Sessel fallen.
Stephan war längst gegangen, und Tiroler hatte sich außerstande gezeigt, seinem jungen Patienten irgendein Wort der Erklärung über den Lauf des Vormittags auf den Weg zu geben. Er folgte ihm mit den Augen, wie er über den Kiesweg ging, und sein Gang erschien dem Arzt von erzwungener Ruhe. Tiroler schwankte eine Weile, ob er Florence anrufen und ihr irgend etwas erzählen solle, etwa, daß »Stephan mitarbeite«, aber ein wenig phantastisch veranlagt sei, daß er sich gewundert habe, welche Traumwelten zu Stephans Realität gehörten, er scheine nicht ganz sicher in der Trennung dieser Sphären zu sein, das sei nicht bedenklich, aber auch nicht ganz unproblematisch.
Er starrte das Telephon an, hob aber den Hörer nicht ab. Als das Telephon plötzlich klingelte, schrak er zusammen und griff voller Angst zum Hörer. Mrs. Meyrish war am Apparat und sagte ihren Termin ab. Er dankte ihr mit leiser Stimme, als ob er vermeiden wolle, daß man im weitentfernten Nachbarhaus seine Stimme höre. Dann ging er eine Weile unruhig auf und ab. Er fühlte, wie er die Herrschaft über seine Gedanken verlor. Allerhand |96| unsinniges Zeug tauchte vor ihm auf und ging wieder unter. Er ertappte sich bei einem Selbstgespräch. Dann klopfte es. Tiroler sah auf und glaubte zu sterben. Er fürchtete auf einmal, Florence könne in der Tür stehen. Es war nur Anni, die ihm sagte, daß auf der Terrasse der Teetisch gedeckt sei. Er drückte auf den Knopf seines Diktaphons und sagte gereizt zu Anni, daß er soeben diktiert habe. Anni schloß die Tür wieder. Tiroler knipste die Lampe aus. Auf dem Boden machte die Sonne rotgoldene Streifen, die langsam von rechts nach links wanderten.
Ein Satz setzte sich in Tirolers Gehirn fest, den er immer wiederholte: »Sie würde es nur unter gewissen Umständen tun.« Er sagte diesen Satz etwa zwölfmal vor sich hin, diktierte ihn dann auf das Tonband, ließ ihn sich vorspielen und löschte das Band. Er schrieb ihn auf einen Rezeptblock, sah ihn an und verbrannte das Blatt im Aschenbecher. Mit gebeugtem Kopf und schleppendem Schritt verließ er das Arbeitszimmer. Florence, dachte er, Florence, nie würdest du das tun. Du bist glänzend verheiratet mit diesem Flachkopf, diesem Barbesitzer, du hast Söhne, gräßlich elegante Söhne, groß und blasiert, und du läufst in diesen engen schwarzen Kleidern herum und bist dir selbst genug. Nie wärst du bereit, mich zu lieben, für dich bin ich nur ein Handwerker, den man ruft, wenn die seelische Waschmaschine Kalkablagerungen aus hartem, verstopfendem Seelendreck hat. »Nein«, sagte er laut, »keinen Tee für mich, ein Glas Wasser bitte«, und er begann seine Taschen auszuleeren und etwa ein Dutzend unterschiedlich großer Tabletten zu schlucken.
Von dieser Sitzung ihres Sohnes bei dem großen Analytiker berichtete Florence beim Tee ihrer Freundin Ines Wafelaerts so gut wie nichts, denn sie hatte über ihren Verlauf wenig Nennenswertes aus ihrem Sohn herausbekommen, und sie war viel zu sehr an Stephans Art gewöhnt, alle Ereignisse in verzerrenden Verkürzungen wiederzugeben, um sich etwas dabei zu denken, als er ihr vorschlug, Tiroler einen Spitz zu schenken: Damit könne man sich bei ihm beliebt machen.
Ihr Vertrauen zu Tiroler war gewachsen, und sie hätte ihrer |97| Freundin über die Gespräche, die sie mit ihm führte, viel mehr erzählen können als über das, was er mit Stephan anstellte. Aber selbstverständlich war Stephan zunächst einmal ihr dringlichstes Thema, und sie war froh, ihrer Sorge und ihrem Ärger irgendwo Ausdruck verleihen zu können. Aus einem andern Grund hätte sie die alte Madame Wafelaerts auch nicht so unmittelbar nach ihrer Ankunft in Frankfurt aufgesucht.
Es war schwierig genug, sie überhaupt zu finden, denn ihr altes Haus, in dem sie bis zum Krieg gewohnt hatte, war ja zerstört, aber Florence hatte Zeit zu suchen, denn
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