Das Bienenmaedchen
fort, und irgendetwas an seiner Geste erinnerte Beatrice an Rafe.
Guy war da, und gemeinsam manövrierten die beiden Männer Angie vorsichtig auf einen Sitz, den sie aus ihren Armen geformt hatten. Ein Luftschutzhelfer ging voraus, damit sie wussten, wo sie entlanggehen konnten.
»Alle tot, die armen Kerle«, hörte Beatrice im Vorbeigehen jemanden sagen. Sie versuchte, nicht auf die Spritzer aus dunkler Flüssigkeit zu achten, die sich die Treppe hochzogen. Auf halber Strecke nach oben lag eine seidene Handtasche in einer glitzernden schwarzen Lache.
Auf dem Platz herrschte ein irrwitziges Chaos aus Menschen und ineinander verkeilten Fahrzeugen, deren Türen durch die Gewalt der Bombe aufgerissen worden waren. Am schrecklichsten aber waren die Dunkelheit und die Stille, in der die Helfer arbeiteten. Den ganzen Bürgersteig entlang lag im Schatten eine lange Reihe von Leichen, einige von ihnen kaum bekleidet. Ein Mann in einem zerrissenen Abendanzug wurde in einen Krankenwagen gehoben. Ein ganz junges Mädchen in einem Tanzkleid kniete auf der Straße und beweinte jemanden. Ein Luftschutzhelfer versuchte sie zu trösten. Gerald und Guy setzten Angie auf einer umgedrehten Lattenkiste ab. Eine Frau in Schwesterntracht untersuchte sie kurz und sagte, sie habe nichts wirklich Schlimmes davongetragen und solle einfach nach Hause gehen. Gerald fing die Decke auf, die jemand ihm zuwarf, und wickelte sie um Angies Schultern. Guy versuchte unterdessen, ein Taxi zu finden. Lange Zeit vergeblich, doch dann hatten sie Glück.
Als Gerald Angie vorsichtig in das Taxi bugsierte, sagte er zu Bea: »Sie haben mich da drinnen Rafe genannt. Sie müssen Beatrice sein. Rafe hat oft von Ihnen gesprochen.«
»Ja.«
»Und Ihr Freund ist Captain …«
»Hurlingham«, stellte Guy sich vor. »Guy Hurlingham.«
»Ziemlich miese Show hier«, sagte Gerald zu ihm, als sie sich verabschiedeten. »Ich bringe Miss Wincanton nach Hause. Glaub nicht, dass Sie mitkommen müssen.«
»Doch, ich möchte mitkommen«, sagte Beatrice mit Nachdruck. »Ich muss sehen, dass es ihr gut geht.«
»Bea, vielleicht sollten wir beide uns jetzt verabschieden«, sagte Guy. »Fahr mit, wenn du das willst, aber ich wäre nur im Weg.«
»Sei nicht albern«, sagte Beatrice und schob ihre Unterlippe vor. »Ich brauch dich an meiner Seite.«
»Also, meine Herren, wohin geht’s jetzt?«, fragte der Taxifahrer.
»Queen’s Gate«, antwortete Gerald rasch.
Sie quetschten sich alle ins Taxi, wobei Guy und Beatrice sich Angie und Gerald gegenübersetzten. Angie sah aus, als ob sie sich gleich wieder übergeben müsste, tat es aber zum Glück nicht.
Auf dem Weg sagte Gerald zu Beatrice: »Er hat oft von Ihnen gesprochen, mein armer Bruder. Ich frage mich die ganze Zeit, wie es ihm wohl geht. Wir haben schon seit Monaten keine neue Nachricht von ihm.«
Er lächelte sie an, aber sein Lächeln war viel verhaltener als Rafes. Beatrice hob ihre Hand und betrachtete eingehend ihren Ring. Wie merkwürdig, ihn an ihrem Finger zu sehen!
Angie hatte sich so weit erholt, dass sie es bemerkte. »Bea«, flüsterte sie, »ist der schön! Bedeutet das …?«
»Ja«, antwortete Beatrice.
»Oh, ich freu mich so für dich, Schätzchen«, sagte Angie. Sie machte Anstalten, sich vorzubeugen und Beatrice zu umarmen. Aber dann ließ sie sich wieder in ihren Sitz sinken und fasste sich an die Schläfe. »Ich muss lernen, so was nicht zu machen.«
Beatrice lehnte sich zurück und schloss die Augen, was sie gleich darauf bedauerte, weil sich ihr der Kopf drehte. In ihren Ohren klang immer noch die Explosion nach, und ihr Körper tat ihr an einigen Stellen weh. Sie hatte keine Ahnung, wie sie aussah, aber wenn sie vom Äußeren der anderen auf sich selbst schloss, dann staubig und zerzaust. Nicht, dass es ihr etwas ausgemacht hätte. Plötzlich tauchte in ihrem Bewusstsein das Bild von Judy auf, wie sie da in den Trümmern lag. Sie keuchte und merkte, dass sie anfing zu zittern. Guy neben ihr legte seinen Arm um sie. Er fühlte wahrscheinlich fast das Gleiche wie sie. Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter, und er hielt sie fest. Sofort fühlte sie sich warm und geborgen, und dann stürmte eine selbstsüchtige Dankbarkeit auf sie ein – dafür, dass sie am Leben war.
Als sie das Haus in Queen’s Gate erreichten, kam Mrs Wincanton im Morgenmantel die Treppe hinunter und öffnete ihnen. Als sie ihre Tochter mit ihrem zerrissenen Kleid und den blutverschmierten Haaren sah, schrie sie
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