Das Bienenmaedchen
würde ich mir gern ansehen, was du sonst noch gemacht hast.«
»Sie steht auf der Karte, die ich dir gegeben habe.«
Er schaute in seiner Brieftasche nach. »Keine Sorge, ich werde sie sicher aufbewahren«, sagte er und lächelte sie an.
»Wie lange bleibst du noch?«, fragte Lucy. »Hast du nicht gesagt, dass du am Montag irgendwohin zurückmusst?«
»Stimmt. Und was ist mit dir?«
»Auch Montag.«
»Meinst du, dass du bis dahin alles erfahren hast, was du wissen willst? Von deiner alten Dame?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht. Im Moment bin ich mir nicht sicher, wohin ihre Geschichte führen wird und was das alles bedeutet.«
»Es geht um deine Familie, oder?«
»Ja. Um meinen Vater, glaub ich.«
In diesem Moment erschien eine junge Kellnerin mit tätowierten Armen und einem Strassknopf unterhalb der Unterlippe mit zwei riesigen ovalen Tabletts. Auf jedem türmten sich Pommes frites, daneben lag eine riesige Portion panierter Fisch.
»Wow«, hauchte Beatrice und stellte die Kameratasche wieder auf den Boden. Anthony und sie fielen wie ausgehungerte Wölfe über das Essen her, und für ein paar Minuten herrschte Schweigen.
Nach einer Weile hielt sie inne und fragte: »Wenn du am Montag zur Arbeit zurückkehrst, gehst du dann wieder ins Ausland? Nach Afghanistan, meine ich?«
Er nickte. »Sieht so aus. Ich war jetzt drei Monate hier. Sie finden, das reicht.«
»Aber du findest das nicht?«
»Ich weiß nicht.«
»Willst du überhaupt dahin zurück?« Sie beobachtete, wie er kaute und dann schluckte, bevor er antwortete.
»Ich hab Angst davor«, sagte er.
Sie legte Messer und Gabel hin. »Ist da was Bestimmtes passiert? Ich meine …« Es war schwierig, sich vorzustellen, was es gewesen sein könnte.
»Eine Menge«, sagte er ziemlich abrupt, »und eines im Besonderen.«
Lucy fühlte sich in die Schranken gewiesen. Sie nahm sich mit den Fingern eine der Pommes frites und tauchte sie in die Tomatensoße. Dabei überlegte sie, was sie sagen sollte.
»Du warst nicht die ganzen drei Monate hier in Saint Florian, stimmt’s?«
Es kam ihr plötzlich schrecklich vor, dass sie ihn gerade noch getroffen hatte – genau in der letzten Woche seines Urlaubs.
»Nein«, antwortete er sehr leise und trank einen Schluck Bier. »Bloß ein paar Wochen.«
Es trat Stille ein, und sie aßen eine Weile. Dann begannen beide gleichzeitig zu reden.
»Ich wollte –«, sagte er, als sie fragte: »Warum –«, und dann hinzufügte: »Sprich weiter.«
»Ich musste mal eine Weile allein sein und versuchen, mit mir ins Reine zu kommen«, erklärte er. »Ich liebe diesen Ort, das meine ich ernst. Er birgt Erinnerungen, aber es sind gute.« Er starrte durch das mit Salz besprenkelte Fenster nach draußen, über die See in der Dämmerung hinweg. Weit entfernt am Horizont tauchte ein Blitz auf, der sich vielfach gabelte. »Ein- oder zweimal war ich mit Gray hier.«
»Das ist dein Freund? Dessen Familie das Haus gehört, in dem du wohnst?«
Er nickte langsam. Sie beobachtete ihn ängstlich, als sie die Trauer in seinen Augen sah.
Er räusperte sich. »Er … Gray ist tot.«
Sein kurzes Stocken machte Lucy das Atmen schwer. »Oh, das tut mir leid«, flüsterte sie, aber ihre Worte erschienen ihr als Antwort auf seinen qualvollen Gesichtsausdruck unangemessen. Sie wartete und legte eine Hand mit der Handfläche nach oben auf den Tisch – eine zaghafte Geste der Offenheit. Sie fühlte sich vollkommen überfordert, aber sie spürte, dass Anthony sie jetzt brauchte.
»Alles in Ordnung, Leute?« Die Kellnerin stand unvermittelt zwischen ihnen und schnappte sich Lucys leeres Glas. »Ausgetrunken? Möchten Sie noch eins?«
»Danke, ja. Noch einmal das Gleiche für uns beide«, antwortete Lucy rasch. »Anthony, sprich weiter, ich höre dir zu.«
Der Pub füllte sich allmählich, und Lucy musste sich nach vorn beugen, um zu verstehen, was Anthony sagte.
»Ich hab Gray vor zehn Jahren am ersten Tag auf der Offizierschule kennengelernt.« Er lächelte, als er sich daran erinnerte. »Nach der ersten Einweisung haben wir zusammen in einer Schlange für das Mittagessen angestanden. Gray machte einen sehr lustigen Witz. Er hat mich oft zum Lachen gebracht. Er war einer von den Burschen, die allem eine erfreuliche Seite abgewinnen. Aber da war noch mehr. Er war einer von der Sorte, die du an deiner Seite haben möchtest, wenn du in extremer Gefahr bist, weißt du, was ich meine?«
Lucy, die noch nie eine solche Erfahrung gemacht hatte,
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