Das Bienenmaedchen
erfahren? Ach ja, über die Babys.
»Haben Dad und Granny je erwähnt, dass Granny noch mehr Kinder hatte? Vor Dad, meine ich.«
»Lucy, mit wem hast du da geredet?«
»Sie heißt Beatrice, Mum. Eine Jugendfreundin von Granny. In Saint Florian. Und da bin ich jetzt.«
»Wie eigenartig. Ich dachte, du wärest in Penzance. Was hast du gesagt, was du in Saint Dingsbums machst?«
»Mum!«
»Nein. Die Antwort ist – nein, sie haben nie so was erzählt. Deine Granny hatte noch andere Kinder? Sie hat sich nicht danebenbenommen, oder? Na, das wäre wirklich ein Ding!«
»Nein, Mum, sie hat sich nicht danebenbenommen. Aber –«
»Ich weiß nicht, warum dein Vater ihr einziges Kind war. Solche Sachen konnte man sie nicht fragen. Sie haben sich sehr nahgestanden, dein Vater und sie. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in ihrem Leben Platz für einen Bruder oder eine Schwester deines Vaters gegeben hat.«
»Standen sie sich so nahe?«
»Oh ja! Deine Granny hat deinen Vater angebetet. Das war ein Teil des Problems. Sie war nicht einverstanden mit mir …«
»Ja, Mum.« Ihre Mutter hatte ihr das schon so oft erzählt. Lucy fragte sich, inwieweit es der Wahrheit entsprach und ob beide Seiten bei dieser Angelegenheit überempfindlich geworden waren.
»Deshalb hat er auch so spät geheiratet. Sie hatte ihn in ihren Fängen.«
»Es könnte doch auch sein, dass er einfach noch keine Frau getroffen hatte, die er heiraten wollte, bis er dich kennengelernt hat, Mum.«
Ihre Mutter lachte leise. »Eine schöne Vorstellung!«, sagte sie. »Lucy, ich muss jetzt los. Lewin kommt gleich, und ich bin noch nicht angezogen.«
Lucy legte auf, lächelte und steckte ihr Handy wieder weg. Eine ganze Weile saß sie nur da und dachte nach. Durch den Anruf fühlte sie sich bestätigt. Wahrscheinlich hatte sich ihre Großmutter Tom so besonders nah gefühlt, weil sie die Zwillinge verloren hatte. Lucys Vater musste Angelina unglaublich viel bedeutet haben – und wie geliebt musste er sich gefühlt haben!
Als Lucy aufstand, sah sie Anthony um die Ecke kommen. Als er sie entdeckte, hellte sich sein Gesicht auf. Sie hatte noch nie solche Gefühle für jemanden empfunden – bestimmt nicht für Will. Anthony blieb dicht vor ihr stehen, und es war völlig natürlich für sie, sich zu umarmen und nur dazustehen, ohne zu reden.
KAPITEL 25
Als Lucy am nächsten Morgen – es war Freitag – ihren Platz in Beatrice’ Wohnzimmer eingenommen hatte, fragte die alte Dame: »Wie geht es dir heute? Ich hatte Angst, dass ich dich durcheinandergebracht habe.«
»Mir geht’s gut. Ich war nur ziemlich erschüttert, das ist alles.«
»Heute wird’s auch nicht gerade einfach werden.« Beatrice seufzte. »Der nächste Abschnitt meiner Geschichte ist für mich am schwersten zu erzählen. Bitte stell mir keine Fragen, bis ich damit fertig bin. Ich bin sicher, du wirst verstehen, warum.«
»Das klingt ein bisschen beunruhigend«, sagte Lucy. »Aber ich möchte trotzdem, dass du mir alles erzählst.«
»Alles fing an nach dieser zufälligen Begegnung mit Michael Wincanton …«
London, August 1942
An einem Montag zwei Wochen nach Angies Tragödie traf ein merkwürdiger Brief für Beatrice ein. Er war von einem gewissen E. Potter unterschrieben, der sie bat, sich in drei Tagen zu einem Termin in Westminster, in den Sanctuary Buildings Nummer 3, einzufinden. Es gab keinen offiziellen Briefkopf, und sie fragte sich kurz, ob es ein Trick war. Sie traute sich nicht, schon wieder um einen freien Tag zu bitten. Außerdem stand in dem Brief, sie dürfe niemandem von diesem Treffen erzählen. Also meldete sie sich am Donnerstagmorgen krank.
Als sie das Gebäude gefunden hatte, wirkte es nicht sonderlich vielversprechend auf sie. Es war ein hässliches, mehrstöckiges Gebäude aus grauem Stein im Gewirr der Straßen hinter der Westminster Abbey. Wie sie einem Aushang entnahm, handelte es sich um den Sitz des Rentenministeriums. Als sie das las, sank ihr das Herz. Noch mehr Büroarbeit vermutlich.
Als sie den Portier nach Raum 55a fragte, wurde sie jedoch nicht in ein geschäftiges Büro geführt, sondern die Treppe hoch zu einem kleinen Zimmer mit vernagelten Fenstern. Es war nur mit einem einfachen Holztisch und zwei Klappstühlen möbliert und wurde von einer einzigen, nackten Deckenleuchte erhellt. Dort wurde sie allein gelassen und sollte warten.
Vorsichtig ließ sie sich auf einem der Stühle nieder und sah sich nach einem Anhaltspunkt um, wofür der
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