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Das Bienenmaedchen

Das Bienenmaedchen

Titel: Das Bienenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
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denn was sollte ohne sie aus ihm werden? Als sie bei Mrs Popham ankam, seinen Freudenschrei hörte und sah, wie er zu ihr hinüberkroch und vor Erleichterung weinte, wären ihr beinahe selbst die Tränen gekommen. Wie hatte sie je auch nur einen Moment daran denken können fortzugehen! Sie riss ihn an sich, umarmte ihn und atmete seinen vertrauten Duft ein.
    Als das Baby im Bett lag, begann dieser Entschluss zu bröckeln. Beatrice war allein in der Wohnung – Dinah hatte im Moment Nachtdienst. Bis auf die entfernten Geräusche eines Radios war es ruhig im Haus. Vermutlich saß die arme Mrs Elphinstone ganz allein da unten und hoffte, Nachrichten zu hören, aus denen hervorging, was mit ihrem Sohn war. Ruhelos schaltete Beatrice ihr eigenes Radio ein, und die Stimme des Premierministers drang knisternd in den Raum. »Jeder bringt Opfer«, sagte er. Rasch schaltete sie den Apparat wieder aus. Sie kniff die Augen fest zusammen. Bilder von Guy, Ed und Rafe kamen ihr in den Sinn. Ihre Freundin Judy. Und nun wurde sie um etwas Bedeutsames gebeten. Michael Wincanton hatte sie sozusagen ausgesucht. Sie war ausgewählt worden.
    Bilder spulten sich in ihrem Geist ab – Wochenschauen, die sie im Kino gesehen hatte: marschierende Soldaten, Schlangen von Flüchtlingen, Kindern mit riesigen Augen, Familien, die mit ihren Habseligkeiten beladene Karren schoben, Männern, die im Meer mit brennendem Öl bedeckt waren und schrien. Beatrice dachte an die Familie ihrer Mutter im besetzten Frankreich, an all die anderen Familien, die genauso litten. Ihr war es zugefallen, einen Beitrag dafür zu leisten, dass dieser Krieg gewonnen wurde.
    Und trotzdem: Ihr unschuldiges kleines Baby hier zu Hause brauchte sie!
    Sie ließ ihren Kopf in ihre Hände fallen und weinte.
    Das Schlimmste überhaupt war, dass sie mit niemandem darüber sprechen konnte. An jedem Tag der nächsten Woche erledigte sie das Übliche: Sie gab ihr Kind bei Mrs Popham ab, fuhr mit dem Bus zur Arbeit, ging in der Mittagspause oder am frühen Abend einkaufen und brachte ihr Baby zu Bett. Dinah sah sie kaum. Und ihre Gedanken stocherten tief und qualvoll in ihrem Bewusstsein herum.
    Sie versuchte sich vorzustellen, was die Arbeit, auf die Mr Potter angespielt hatte, bedeuten könnte. Wäre sie tapfer genug dafür? Das war unmöglich vorauszusehen. Aber sie spürte, dass ihr diese Vorstellung keine Angst machte. Sie wusste, dass sie stark war – körperlich und geistig. Sie hatte schon immer einen angeborenen Sinn dafür gehabt, dass sie durchkommen würde. Das Wichtigste im Leben, das hatte sie bereits gelernt, war es, den Kopf zu senken und sich auf die nächste Aufgabe zu konzentrieren. Das hatte bei ihr immer funktioniert. Wenn sie um etwas gefragt wurde, dann traute man es ihr auch zu, was immer es war. Die Leute gingen vorwärts und erledigten Dinge. Beatrice war in diesem Krieg außergewöhnlich tapferen Menschen begegnet – Leuten, die an die Grenzen ihres Durchhaltevermögens gebracht wurden. Warum sollte es für sie eine Ausrede geben?
    Sie war ein bisschen schockiert darüber, dass sie diese Vorstellung aufregend fand. Sie war nicht sicher, wie sie diesen Aspekt ihrer Persönlichkeit betrachten sollte – ob mit Entsetzen oder mit Freude. Sie wusste nur, dass sie sich dieser Herausforderung stellen wollte. Sie wollte einen aktiveren Beitrag leisten.
    Doch als sie ihrem Sohn die Flasche gab und seine dunklen, verträumten Augen beim Trinken beobachtete, als sie seinen starken kleinen Körper an sich schmiegte und fühlte, wie sich seine rundlichen Arme fest um ihren Hals legten, da wusste sie, dass sie es nicht ertragen könnte, von ihm getrennt zu sein.
    Nach und nach gelang es ihr, das Ganze nüchterner zu betrachten. Vielleicht konnte sie ja erst einmal einen kleinen Schritt tun, um zu sehen, was alles damit verbunden war. Mr Potter hatte ihr das Gefühl gegeben, dass sie jederzeit einen Rückzieher machen konnte. Es wäre das Mindeste, was sie tun konnte.
    Eines Morgens rief ihre Dienstvorgesetzte, Miss Goodwin, eine adrette, tüchtige Frau mit kurzen ergrauenden Haaren und einer schwarz umrandeten Brille, Beatrice in ihr Büro und sagte: »Mrs Marlow, ich verstehe ja Ihre Schwierigkeiten, wo Sie ein kleines Kind haben. Aber allmählich zweifle ich an Ihrer Einsatzbereitschaft hier bei Ihrer Arbeit. Sie fehlen häufig, und wenn Sie da sind, sind sie eher körperlich als geistig anwesend. Ein oder zwei von den anderen Mädchen beklagen sich, dass Sie Ihren

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