Das Bienenmaedchen
Raum benutzt wurde. Doch es gab nichts außer einer Liste mit Verhaltensregeln bei Luftangriffen, die sie schon viele Male in anderen Büros gelesen hatte. Die Minuten schlichen dahin, und sie fühlte sich mehr und mehr unbehaglich, als ob sie beobachtet würde. Schließlich ertönte ein forsches Klopfen, und durch die Tür trat ein schmächtiger glattrasierter Mann um die vierzig, der einen Straßenanzug trug und ein entschuldigendes Lächeln auf den Lippen hatte.
»Tut mir sehr leid, dass Sie warten mussten, Miss Marlow. Sie sind doch Miss Marlow, oder?« Er sah auf ein Papier in seiner Hand.
»Ja, die bin ich«, antwortete Beatrice. »Sind Sie Mr Potter?«
»So ist es.« Er gab ihr die Hand – seine war lang und kalt –, nahm hinter dem Tisch Platz und zog ein kleines Notizbuch aus seiner Brusttasche.
»Ich nehme an, Sie möchten gerne wissen, warum ich Sie hergebeten habe«, sagte er.
»Nun, ja«, erwiderte Beatrice. »Ich habe nicht die geringste Ahnung, wissen Sie?«
»Sie sind mir genannt worden – als jemand, der möglicherweise geeignet ist, mich bei der Aufgabe zu unterstützen, die ich zu erledigen habe. Es ist eine sehr wichtige Arbeit – in der Tat lebenswichtig für unseren Erfolg in diesem Krieg. Deshalb muss ich auch darauf dringen, dass Sie über das, was zwischen uns in diesem Raum gesprochen wird, absolutes Stillschweigen bewahren.«
Er sah zu ihr auf. In dem Schweigen, das nun folgte, verspürte sie als Erstes ein Gefühl der Unwirklichkeit, dann ein leises Pochen der Aufregung.
»Ich habe kein Problem, dieser Bedingung zuzustimmen«, erklärte sie. »Bitte fahren Sie fort.«
Er faltete die Hände auf dem Tisch zusammen und saß nun sehr gerade auf seinem Stuhl. »Bevor ich Ihnen weitere Erläuterungen gebe, würde ich Ihnen gerne ein paar Fragen stellen, wenn Sie erlauben.«
»Ja, natürlich«, erwiderte sie, wenn auch ein wenig unsicher.
»Man hat mir zu verstehen gegeben, dass Sie fließend Französisch sprechen. Stimmt das?«
»Ja, das stimmt … Also, ich habe in der Normandie gelebt, bis ich zehn war. Meine Mutter ist Französin, mein Vater Engländer.«
»Und jetzt Sie sind zwanzig … Nein, neunzehn.«
»Zwanzig in zwei Wochen.«
Er machte sich eine Notiz in seinem Buch. »Bei guter Gesundheit?«
»Ja.«
»Und Sie sind eine FANY.«
»Das war ich. Man hat mich gehen lassen … Mir wurde Sonderurlaub gewährt, wegen eines Trauerfalls.« Ihr wurde plötzlich klar, dass sie ihr Kind besser nicht erwähnen sollte. Und als sie die Lüge aussprach, fühlte sie augenblicklich, dass sie ihn betrog.
»Sonderurlaub wegen eines Trauerfalls?«, fragte Potter nach und musterte sie.
»Mein Verlobter wurde auf Kreta getötet. Leider hat mich das ein wenig aus der Bahn geworfen.«
»Ah, es tut mir leid, das zu hören. Haben Sie das Gefühl, dass Sie sich davon erholt haben – soweit das möglich ist?«
»Oh ja. Ich habe ihn wirklich sehr geliebt, bitte glauben Sie mir das. Aber wir kannten uns noch nicht sehr lange, und das ist wohl der Grund, warum ich relativ schnell wieder auf die Beine gekommen bin. Hört sich das sehr hart an, Mr Potter?«
»Überhaupt nicht«, antwortete er. »Sie sind dann nicht zur FANY zurückgekehrt?«
»Nein, ich wollte mich verändern. Ich habe gedacht, wenn ich für das Kriegsministerium arbeitete, würde ich etwas tun, das auf eine direktere Art nützlich ist, als Autos zu fahren.«
»Sagen Sie mir, was Sie darunter verstehen, auf direkte Art nützlich zu sein.«
»Ich habe nach Guys Tod angefangen, darüber nachzudenken. Ich konnte nicht einsehen, warum ich nicht auch ein Wagnis auf mich nehmen sollte. Ich weiß, den Frauen wird erzählt, sie müssten hier zu Hause tapfer sein und alles am Laufen halten, aber ich finde das irgendwie nicht fair. Ich mag zwar körperlich nicht so stark sein wie ein Mann, aber ich habe Mut und Durchhaltevermögen.«
»Ich verstehe. Das sind sicherlich wichtige Eigenschaften. Nun erzählen Sie mir mehr darüber, was Sie in der FANY gemacht haben, Miss Marlow.«
Sie berichtete von ihrer Arbeit während des Blitzkriegs. Er fragte detailliert nach, in welche Situationen sie geraten und wie sie damit umgegangen war. Dann folgten weitere Fragen nach ihrer Familie und ihrer Schulausbildung sowie nach den Folgen der Kinderlähmung.
»Sie haben ihre körperlichen Kräfte vollständig wiedererlangt?«
»Ja«, antwortete sie. »Ich habe körperliche Übungen gemacht, bis dies der Fall war.«
»Sehr lobenswert. Und was
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