Das Bienenmaedchen
war nicht in Ordnung: Die armen kleinen Kerle lagen falsch rum oder so. Beatrice, ich hab keine Münzen mehr. Keine Zeit für Erklärungen.«
»Geht es Angie gut, Gerald? Gerald! « Beatrice war an der Wand entlang nach unten geglitten und hockte nun auf dem Boden, die Augen vor Kummer geschlossen.
»Was? Nein!« Gerald schrie gegen ein klirrendes Geräusch irgendwo im Hintergrund an. »Das heißt, sie ist lebt, Gott sei Dank, aber sie muss im Krankenhaus bleiben. Ist in einer schlimmen Verfassung. Hat eine Menge Blut verloren. Hier ist ein Höllenlärm, hörst du? Kannst du es ihren Eltern erzählen? Da war besetzt.«
»Ja, ich versuch’s. Aber Gerald – die Babys?«
Seine Antwort war das Letzte, was sie hörte, bevor die Leitung unterbrochen wurde. Sie hielt immer noch den Hörer in der Hand, starrte in die Dunkelheit des Flures und versuchte zu begreifen, was er gesagt hatte. »Die Babys haben es nicht geschafft.« Arme, arme Angie!
Ein paar Tage später ließ sie ihren Sohn bei einer mürrischen Mrs Popham zurück und fuhr zu Angie. Obwohl diese jetzt außer Gefahr war, lag sie fast bewegungslos in ihrem Krankenhausbett. Ihr Gesicht war bleich, und Tränen sickerten unter ihren geschlossenen Augenlidern hervor. Gerald hatte nicht lange bleiben können, doch Oenone und die Kinderfrau saßen nun während der Besuchszeiten abwechselnd an Angies Bett. Als Beatrice kam, ließen sie sie allein mit ihr.
»Angie?«, flüsterte sie. Flatternd öffnete Angelina die Augen und sah sie an. Mit großen, flehentlichen Augen wie ein Tier, das in einer Falle gefangen ist. »Angie, wie geht’s dir? Es tut mir so leid …« Die Augen schlossen sich wieder. Angie runzelte die Stirn, ihre Mundwinkel zogen sich nach unten, und sie gab ein leises Stöhnen von sich, das sich irgendwo tief in ihrem Inneren losgerissen hatte.
Saint Florian, 2011
»Ich war so unendlich traurig«, sagte Beatrice. »Wenn der Arzt doch nur erkannt hätte, dass sie Zwillinge bekam, wären sie vielleicht besser vorbereitet gewesen.«
»Wieso haben sie das nicht gewusst?«, fragte Lucy entsetzt.
»Damals gab es noch nicht diese modernen Methoden. Man ist wohl davon ausgegangen, dass eine Hebamme bei der Untersuchung der Schwangeren schon merken würde, wenn es Zwillinge wären. Aber die Babys waren klein und lagen nicht richtig …«
»Arme Granny! Ich hatte ja keine Ahnung … Davon hat mir nie jemand etwas gesagt. Meinst du, sie hat es Dad erzählt?«
»Wenn ja, dann wüsste ich es nicht«, sagte Beatrice, als hätte sie nie darüber nachgedacht.
»Was für eine merkwürdige Vorstellung!«, rief Lucy plötzlich. »Dass Dad diese Geschwister hatte und nie davon erfahren hat. Ich kann es kaum ertragen, so traurig ist das!« Sie schlug die Hände vors Gesicht.
»Weine nicht, Liebes«, sagte Beatrice. »Ich weiß, es ist traurig, aber es ist lange her.«
Nicht zum ersten Mal wunderte sich Lucy, wie ruhig und beherrscht Beatrice sein konnte. Sie war nicht gleichgültig gegenüber dem Leid – ganz im Gegenteil –, aber das Leid schien sie nicht zu überraschen, wohl weil sie selbst so viele Schicksalsschläge in ihrem Leben erlitten hatte. Plötzlich wurde Lucy bewusst, dass sie nicht wusste, wie Beatrice’ Baby geheißen hatte. Beatrice hatte seinen Namen nicht erwähnt.
Die alte Dame erhob sich aus dem Sessel auf, ging zum Fenster und sah hinaus in den Garten, auf den sich die spätnachmittäglichen Schatten legten. Ihre Silhouette zeichnete sich vor der Terrassentür ab. Gedankenverloren stand sie da – eine sehr einsame Gestalt.
Lucy wusste, dass es Zeit war, leise fortzugehen.
***
Sie ging zum Hafen hinunter, um nach Anthony Ausschau zu halten, obwohl sie erst später an der Bar verabredet waren. Er war nicht zu sehen, und die Early Bird wippte an ihrem Liegeplatz sanft auf und nieder. Lucy setzte sich im Windschatten auf eine Stufe und nahm ihr Handy aus der Handtasche.
»Mum?«, sagte sie, als Gabriella sich meldete.
»Lucy. Wo bist du?«
»Immer noch in Cornwall. Mum, es würde zu lange dauern, um dir alles zu erzählen, aber ich habe mit einer alten Freundin von Granny gesprochen. Eine Frau namens Beatrice. Ihr Nachname ist Ashton, und früher hieß sie Beatrice Marlow.«
»Wer? Nie gehört.«
»Beatrice Ashton.«
»Ich habe keine Ahnung, wer sie ist.«
»Dad hat also nie von ihr gesprochen?«
»Hat er vielleicht, aber ich kann mich nicht daran erinnern.«
Lucy überlegte einen Moment. Worüber wollte sie eigentlich mehr
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