Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Bienenmaedchen

Das Bienenmaedchen

Titel: Das Bienenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
Vom Netzwerk:
Schusswaffe zu leben und sie zu beherrschen.
    Als sie zum ersten Mal mit dem Revolver schoss, war sie schockiert über den Rückschlag und bestürzt, wie weit die Kugel das Ziel verfehlte. Zu ihrer Überraschung stellte sich jedoch heraus, dass sie diese Herausforderung genoss, und sie wurde rasch besser. Mit dem Gewehr zu zielen fiel ihr leichter. Sie legte es fest an ihrer Schulter an, das Visier direkt vor ihrem Auge. Bis sie sich an das Gewicht gewöhnt hatte, bekam sie davon allerdings Schmerzen im Oberarm und im Nacken, die sie nachts wachhielten. Und nicht selten ging sie nach einem Ringkampf oder einem schlimmen Sturz abends mit zahlreichen blauen Flecken zu Bett.
    Wie sie befürchtet hatte, erwies sich das Laufen als ihr Schwachpunkt. Sie stellte fest, dass sie, möglicherweise wegen ihrer früheren Krankheit, weder die Geschwindigkeit noch die Ausdauer für lange Strecken hatte, aber sie war entschlossen, ihr Bestes zu geben. Morgen für Morgen schloss sie sich in der kalten Morgendämmerung ihren Kameradinnen an, die über neblige Felder oder manchmal den Kamm eines Hügels entlangrannten, zu dessen Füßen sich eine Ebene ausbreitete. Sie war gerne dort oben, nicht zuletzt, weil sie sich vorstellte, sie könnte direkt bis nach Sussex schauen. Das war die einzige Zeit, in der sie sich erlaubte, an ihren Sohn zu denken. Sie durfte nicht telefonieren, was ihr perverserweise half. Jeder Brief, den sie abschickte, wurde von irgendeinem Verantwortlichen gelesen, und sie vermied jede Andeutung, dass der Junge, an den sie Liebesgrüße übermitteln ließ, ihr eigener Sohn war. Wenn das herauskäme, würden sie sie wohl nach Hause schicken.
    »Es wird Ihnen helfen, wenn Sie nicht an Ihre Familie denken«, hatte ihr jemand bei einem Einstellungsgespräch, bevor sie hergekommen war, in wohlwollendem Ton geraten. Es war eine elegante Frau gewesen, die sich sehr gerade hielt und ein kräftiges, hübsches Gesicht hatte. Sie hieß Vera Atkins, und das war, soweit bekannt, ihr richtiger Name. »Wir sind hier, um Sie zu unterstützen«, hatte ihr Miss Atkins versichert, und irgendwie vertraute Beatrice ihr.
    Sie bemühte sich, mit ihrem ganzen Körper und Geist, diese Leuten zufriedenzustellen, weiterzulaufen, wenn sie jenseits der Erschöpfung war, besser als alle anderen zu schießen, gerissen zu sein, wenn Gerissenheit verlangt wurde, und nie und nimmer vor Schmerz aufzuschreien. Sie versuchte, nicht an die Zukunft zu denken – daran, dass sie dieses Training vielleicht in äußerst gefährlichen Situationen würde anwenden müssen. Darüber würde sie nachdenken, wenn es so weit war.
    Einmal wurde sie in der Nacht wach, weil jemand weinte. Überrascht stellte sie fest, dass das Schluchzen aus dem Bett einer ruhigen jungen Frau mit stolzem Gesichtsausdruck kam, die sie als Françoise kennengelernt hatte. Helles Mondlicht erleuchtete den Raum. Irgendein Instinkt riet Beatrice, nichts zu unternehmen. So lag sie still da und lauschte dem leisen Schluchzen, obwohl sie am liebsten hinübergeschlichen wäre und Françoise tröstliche Worte zugeflüstert hätte. Aber sie spürte, dass es dem Mädchen nicht recht gewesen wäre. Sie sollte nie erfahren, ob sie mit dieser Einschätzung recht hatte oder nicht, denn am nächsten Tag packte Françoise ihren Koffer und verschwand. Beatrice sah sie nie wieder.
    Der Monat ging rasend schnell vorbei, und der Gruppe der Rekrutinnen wurde mitgeteilt, sie sollten nach Hause zurückkehren und warten, bis sie zu einem Einsatz gerufen wurden. Beatrice ging davon aus, dass sie bei Angie wohnen würde, und so gab sie deren Adresse an. Zuerst fuhr sie jedoch zu ihrer Wohnung, um auszupacken. Dort traf sie Dinah an, die sie mit unerwarteter Wärme begrüßte. Maßlos erschöpft, wie sie war, schlief sie vierzehn Stunden lang. Dann stieg sie in den Zug nach Sussex.
    Nanny stand mit dem Jungen auf dem Arm in der Haustür. Als er seine Mutter sah, stieß er einen qualvollen Schrei aus. Beatrice ließ ihre Taschen fallen und wollte ihn in die Arme schließen. Aber er trat um sich und strampelte und heulte. Das schnitt ihr tief ins Herz.
    »Normalerweise ist er solch ein guter, ruhiger Junge. Ich verstehe nicht, was los ist!«, rief Nanny. »Schsch, kleiner Mann!«
    Beatrice kannte den Grund. Er war böse auf sie, weil sie ihn verlassen hatte.
    Nach einer Weile ebbte seine Wut ab. Er streckte seine Ärmchen nach Beatrice aus, und als sie ihn nahm, vergrub er sein Gesicht an ihrem Hals. Er ließ sie

Weitere Kostenlose Bücher