Das Bienenmaedchen
Trainings den Gedanken an ihn wach: der Fallschirmsprung. Dazu wurden sie zu einer Fallschirmspringerschule im Norden von England transportiert. Übungen im Fallen – Hände in den Taschen, Beine zusammen, beim Aufprall nach links oder rechts rollen – folgten Sprünge im Hangar von immer höheren Plattformen, wobei sie an einem Drahtseil befestigt waren. Zu guter Letzt wurden Beatrice und die anderen in einem Flugzeug in schwindelerregende Höhen geflogen und dazu gebracht, das zu tun, wogegen sich jeder Nerv in ihrem Körper wehrte: sich in die inhaltslose Luft fallen zu lassen. Der erste Moment fühlte sich genau so schlimm an, wie sie befürchtet hatte. Sie öffnete den Fallschirm mit einem Ruck und wurde von Euphorie erfasst, als sie ruhig nach unten auf eine friedliche englische Landschaft zuschwebte, die sich unter ihr ausbreitete. Dann kam ihr der Boden entgegen, und sie prallte auf und rollte mitten in die Nesseln hinein – ein demütigendes Ende aller Selbstüberschätzung.
Dennoch stieg ein Gefühl der Zufriedenheit in ihr auf, als sie ihr Gewirr aus Seide aufwickelte und sich in die Schlange einreihte, um ihre Ausrüstung zurückzugeben.
»Gut gemacht, Mädels!«, sagte der junge Pilot, als er ihr Gurtzeug entgegennahm. »Hier ist eure Belohnung.« Er drückte Beatrice ein gesticktes Abzeichen in die Hand. Sie betrachtete es und erschrak – es war genau das Abzeichen, das aus Rafes Tasche gefallen war!
Rafe war vor ihr da gewesen – wenn nicht an diesem Ort, dann doch irgendwo an einem ähnlichen. Und das bedeutete … Gut, wer wusste schon, was es bedeutete. Aber sie verstand jetzt die Art seiner höchst geheimen Arbeit und das Ausmaß der Gefahr, in die er sich vor ihr begeben hatte.
Als sie ihren Sohn diesmal wiedersah, stand er wartend hinter der Tür, die Nanny geöffnet hatte. Er war immer noch wacklig auf den Beinen, aber eindeutig stand er. Beatrice ging in die Hocke und breitete die Arme aus, überwältigt von ihrer Liebe zu ihm.
»Schätzchen?«
Er sah sie an und schaute dann zu Nanny hoch, die sagte: »Mach schon, gib deiner Mutter einen Kuss.« Wieder zögerte er. Dann stieß er einen tiefen Seufzer aus und kam in ihre Arme gelaufen. »Mar, Mar«, jammerte er und schlang seine Arme um ihren Nacken.
»Oh mein Liebling«, sagte sie in sein Ohr und weinte fast vor Erleichterung. Bis jetzt war ihr nicht bewusst gewesen, wie sehr sie ihn vermisst hatte.
Schon auf den ersten Blick sah sie, dass Angie wieder schwanger war.
»Ich bin ein Nervenbündel!«, seufzte Angie. »Irgendwas, alles, was ich mache, kann dazu führen, dass ich es verliere.«
»Was sagt der Doktor?«
»Dass ich mich in keiner Weise anstrengen darf und gut essen soll. Ha! Hört sich ja gut an, aber mir ist die ganze Zeit übel.«
Angie war erschöpft, das konnte Beatrice sehen. Und da sie bis zum Abschlusstraining ganze zwei Wochen freihatte, beschloss sie, nach Hause nach Cornwall zu fahren.
Auf der Zugfahrt war der Junge quengelig wegen der unbekannten Geräusche und der fremden Leute. Vielleicht vermisste er auch Angie und Nanny. Während er sich auf ihrem Schoß wand und strampelte, drehte er sich manchmal zu ihr um und sah sie verwirrt an, als ob er fragen wollte: Was machst du eigentlich hier? Das Essen, das sie ihm gab, warf er auf den Boden, und er beruhigte sich nur, wenn er sein Fläschchen bekam. Schließlich schlief er in ihren Armen ein, und sie beobachtete die vorbeiziehende Landschaft, während der Zug auf die untergehende Sonne zufuhr. Wie normal das ist, dachte sie – eine Mutter und ihr Kind. Sie konnte kaum glauben, dass sie letzte Woche aus einem Flugzeug gesprungen war.
Januar 1943
»Sie heißen nicht mehr Beatrice oder Simone. Ihr Name ist jetzt Juliette Rameau, und sie sind Kindererzieherin. Hier, nehmen Sie das, und studieren Sie es sorgfältig.«
Sie befand sich in einem weiteren Landhaus, diesmal in Hampshire. Am Ende des ersten Tages waren Miss Atkins und Major Maurice Buckmaster, der für die französischen Operationen verantwortliche Mann, aus London angekommen. Beatrice erhielt die Order, die beiden in einem komfortablen Zimmer voller Bücher aufzusuchen, das eine Aussicht auf den Rasen im Vorgarten bot. Dort saß sie vor einem großen Schreibtisch, während Major Buckmaster ihre neue Rolle beschrieb. Der große, schlanke und athletisch gebaute Buckmaster sah aus wie eine ältere Ausgabe von Rafe: das gleiche blonde Haar, das allerdings dünner wurde, der gleiche einfühlsame,
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