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Das Bienenmaedchen

Das Bienenmaedchen

Titel: Das Bienenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
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Nachfragen einlud. Die Schuhe aus robustem schwarzen Leder passten perfekt, und die Frau schien darüber seltsam zufrieden zu sein.
    »Es tut mir leid, dass Sie nicht hierbleiben können, aber es ist nicht sicher«, sagte sie, als Beatrice sich angezogen hatte.
    »Ich habe Familie«, erzählte ihr Beatrice. »In der Nähe von Le Havre.« Wenn sie dorthin ginge, brauchte sie sich nicht mehr um sie zu sorgen.
    »Nein!«, sagte die Frau sofort. »Das ist zu gefährlich! Gehen Sie nach Süden. Ich werde Ihnen den Weg nach Melun beschreiben. Es gibt dort Leute, die Ihnen helfen können.« Sie zog ein paar Geldscheine aus der Kaffeekanne auf der Anrichte.
    »Das kann ich nicht annehmen«, entgegnete Beatrice. »Sie brauchen das doch bestimmt selbst.«
    »Bitte«, sagte die Frau und steckte das Geld zusammen mit einem Paket Butterbrote in die Tasche von Beatrice’ Mantel. Sie hatte das gleiche gütige Gesicht wie ihr Sohn.
    »Sie sind ein sehr guter Mensch«, sagte Beatrice und nahm ihre Hand. »Nach dem Krieg …«
    »Ja, ja, alles ist nach dem Krieg. Es wird jetzt nicht mehr lange dauern.« Sie presste die Hand gegen ihre Brust, und Beatrice wusste nicht, ob sie meinte, der Krieg sei bald vorbei, oder dass sie das nicht mehr erleben würde. »Jetzt gehen Sie aber!«
    Beatrice folgte der Wegbeschreibung der Frau und hielt sich wie eine Katze stets im Schatten, damit sie nicht gesehen wurde. Als es Nacht wurde, suchte sie sich – wie Rafe damals – eine Scheune und schlief unter leeren Säcken. Sie achtete darauf, dass sie im Morgengrauen aufstand und verschwunden war, bevor der Bauer sein Tagwerk begann. Den ganzen nächsten Tag ging sie immer weiter. Nur einmal geriet sie in Gefahr, als sie sich in einem Dorf etwas zu essen kaufte und nach dem Weg fragte. Der Bäcker sah sie misstrauisch an. Sie gehorchte ihrem Instinkt und nahm nicht den Weg, den er ihr beschrieben hatte.
    Melun. Die Adresse suchen, welche die Frau ihr gegeben hatte. Nervös an die Tür von Fremden klopfen und wieder das Wunder erleben, Freundlichkeit, Nahrung und Unterkunft zu finden.
    Beatrice blieb einige Tage bei dem Paar. Die meiste Zeit schlief sie und gewann einen Teil ihrer Kraft zurück. Die Frau gab ihr ein Fahrrad, und sie schickten Beatrice wieder südwärts, diesmal zu einem Dorf bei Orléans. Darüber gab es zwischen den beiden einen kleinen Streit. Die Frau hatte Sorge, dass es in Orléans nur so von SS-Leuten wimmelte, aber der Mann beharrte darauf, dass Beatrice trotzdem dort hinfahren sollte. Er kannte jemanden in der Stadt, der Beatrice falsche Papiere verschaffen konnte. Das konnte für ihre Flucht von größerer Bedeutung sein als alles andere, und deshalb stimmte Beatrice ihm zu.
    In dem Landhaus in der Nähe von Orléans brauchte der Fälscher mehr als eine Woche, um die Papiere herzustellen. Für Beatrice, die sich in einem Weinkeller, in dem es Ratten gab, versteckte, bedeutete das eine lange, angsterfüllte Zeit. Als die Papiere endlich fertig waren, machte sie sich, diesmal als Jeanne de Varnes, wieder auf den Weg nach Süden, immer nach Süden, denn Hitlers Augen wandten sich nach Norden zur Küste, wo täglich die Invasion der Alliierten erwartet wurde. Vielleicht gelang es ihr, durch eine Lücke in seinen Verteidigungslinien zu schlüpfen, während seine Aufmerksamkeit nach Norden gerichtet war.
    Sie kam nun schneller voran, weil sie die Eisenbahn benutzen konnte. Sie brauchte nicht mehr so große Angst zu haben, entdeckt zu werden, obwohl die Kinder, die ihr im Zug nach Angoulême gegenübersaßen, neugierig auf ihr allzu schmales Gesicht und ihre glanzlose Haut starrten. Beatrice lächelte die Kleinen an, wandte den Kopf ab und schaute hinaus auf die vorbeiziehende Landschaft, überflutet von der Sehnsucht, ihr eigenes Kind in England endlich wiederzusehen.
    In Angoulême untersuchte ein Arzt mit einem Ausdruck tiefen Mitleids ihre Narben. Ihre Fußnägel würden nachwachsen, versicherte er ihr, und die Salbe, die er ihr gab, würde die Narbenbildung auf ihrem Rücken mildern. Ihre Gastgeber gaben ihr Geld und schickten sie weiter nach Marseille.
    Dort hatten die Deutschen im vergangenen Jahr die Résistance aus der Altstadt herausgebombt. Doch danach hatten sich die Widerstandsgruppen verteilt und ihre Strukturen verbessert, sodass sie jetzt stärker waren als zuvor. Ihre Anstrengungen konzentrierten sich voll und ganz auf die Zerstörung von Straßen und Schienen, auf denen die Deutschen nach Norden vorrücken

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