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Das Bienenmaedchen

Das Bienenmaedchen

Titel: Das Bienenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
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Klopfzeichen gingen ihr nun rascher und sicherer von der Hand.
    »Drei Wochen, glaube ich. Was haben sie dir angetan?«
    Einen Moment lang erwiderte sie nichts, dann klopfte sie: »Es ist inzwischen besser.«
    »Bei mir auch« , lautete die Antwort, dann kam ein rasches Klopfen: »Ich geh jetzt.« Offenbar war jemand gekommen.
    Beatrice fühlte sich seltsam beschwingt nach diesem Gespräch. Sie hatte eine Freundin. Die erlitten hatte, was sie erlitt.
    In den folgenden Wochen kommunizierte sie häufig mit Michelle und bekam mit der Zeit viele kleine Informationen über die Entwicklung des Krieges: Die Alliierten hatten Hamburg und Rom bombardiert. Mussolini war vom italienischen König abgesetzt worden. Sie erfuhr auch einiges über andere im Gefängnis. Beatrice’ Rohr befand sich offenbar an einer Sackgasse des Installationssystems, denn sie hatte nie mit jemand anderem »sprechen« können. Michelle jedoch hatte Kontakt zu ihrer Nachbarzelle und durch die Frau dort eine Verbindung zu einem breiteren Netzwerk, zu dem auch einige Männer gehörten. Die meisten Gefangenen waren Franzosen. Allerdings hatte sie von einem Engländer gehört, der unter dem Namen Alain bekannt war. In der Wand seiner Zelle war eine Art Guckloch, von wo aus er auf die Haupttreppe sehen konnte. Außerdem gelang es ihm irgendwie, Nachrichten durch dieses Loch zu befördern. Der Name Paulette schien Alain etwas zu sagen, aber Beatrice hatte noch nie von ihm gehört. Gelegentlich gab es via Michelle Neuigkeiten über irgendeinen Bekannten aus der Agentenausbildung oder aus ihrer geselligen Zeit in London. Über den metallischen Flurfunk fragte Beatrice nach Informationen über Rafe und Charles. Man berichtete ihr, dass Charles einmal im Gestapo-Gefängnis in Limoges gesehen worden war, danach nicht mehr. Nachrichten über Rafe gab es nie.
    An einem sehr scheußlichen Morgen wurde sie von Geräuschen im Hof unten ihrem Fenster geweckt, denen das Krachen von Gewehrfeuer folgte. Sofort klopfte sie eine Botschaft an Michelle auf ihr Rohr, doch es kam keine Antwort. Sie versuchte es noch einige Male an diesem Tag, aber es kam nichts zurück – sie sollte nie wieder etwas von Michelle hören. Ihr zu Ehren schrieb sie mit einem kleinen Stück Splitt auf ihre Wand:
    Zum Andenken an Michelle, meine Freundin aus der Zelle unten. Ich werde sie nie vergessen. Vive la France! 2. September 1943.
    Zwei Tage später war sie an der Reihe.
    »Wohin gehen wir?«, fragte sie die Wärter, die sie in der Zelle abholten, voller Panik. Wie üblich bekam sie keine Antwort. Beatrice wusste nicht, ob sie erleichtert sein sollte oder nicht, als sie durch das Eingangstor des Gefängnisses hinaus zu einem wartenden Bus voller Gefangener geführt wurde. Die Nachricht machte die Runde, dass sie nach Fresnes gebracht würden. Sie verließen Paris und fuhren schließlich wieder die von Bäumen gesäumte Allee entlang auf das große Gefängnisgebäude zu. Dieselbe Zelle mit dem zerbrochenen Fenster, dieselbe grobe Wärterin. Die Tür wurde zugeknallt … und Beatrice war allein mit ihrer Verzweiflung.
    Mit einem Bleistiftstummel, den sie im Korridor gefunden und aufgehoben hatte, legte sie einen neuen Kalender an ihrer Wand an. Monate vergingen. September, Oktober. Es gab keine Bücher, die sie hätte lesen und kein Papier, auf dem sie hätte schreiben können. Sie konnte sich nur damit beschäftigen, im Kopf Spiele zu spielen. Sie hatte so gut wie keinen Kontakt mit anderen. Hin und wieder erhielt sie Morse-Code-Botschaften. Manchmal brachen die Gefangenen auch in gemeinschaftliche Gesänge aus, die von den Wärtern meist brutal gestoppt wurden. Ein Lichtblick waren die ersehnten täglichen Leibesübungen im Hof. Es war den Gefangenen zwar verboten, miteinander zu sprechen, aber manchmal gelang es ihnen doch.
    Aber das alles reichte nicht. Beatrice’ Wunden verheilten allmählich, doch im November bekam sie Depressionen. Sie ertrug das schlechte Essen und die Härte ihrer Gefängniswärter. Sie gewöhnte sich an die Winternächte, in denen sie zitternd – das zerbrochene Fenster hatte sie mit Pappe zugestopft – unter einer rauen Decke lag. Es waren die Furcht und die Einsamkeit, die sie langsam, aber sicher vernichteten. In den Nächten wurde sie von Stimmen in ihrem Kopf gepeinigt, die sie verhöhnten. Keiner von den Menschen, denen sie etwas bedeutete, wusste, wo sie war. Sie war in dieses Gefängnis abgeschoben worden, weil die Nazis nicht wussten, was sie sonst mit

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