Das Bienenmaedchen
bist ja meine wirkliche Großmutter!«
»Du warst noch sehr jung, Liebes, so um die sechzehn. Und vermutlich warst du sehr ergriffen von dem ganzen Schauspiel.«
»Es war schrecklich! Ich war vorher noch nie auf einer Beerdigung gewesen, nicht mal bei der von Grandad Gerald. So viel ist da auf mich eingestürmt!« Sie erinnerte sich an den elektrischen Vorhang, der sich um den Sarg herum bewegt und die Lebenden von der Toten getrennt hatte, und an die morbiden Grabkränze mit den drapierten Schleifen, auf denen Botschaften in der verschnörkelten Handschrift der Floristen standen.
»Dein Vater hat so schön gesprochen. Ich habe ihn dafür bewundert.« Dennoch war es ein Schock gewesen, fügte Beatrice in Gedanken hinzu, Tommy im Alter von fast sechzig zu sehen, denn in ihrer Vorstellung war er immer ein kleiner Junge gewesen. »Und, Lucy, es ist seltsam. Zu hören, was er damals über Angie gesagt hat, und jetzt mit dir über sie zu sprechen – das hat mich zum Nachdenken gebracht. Ich kann ihr nicht wirklich vergeben … aber ich kann sie verstehen, glaube ich. Und ich freue mich darüber, dass er und Angie einander geliebt haben. Dein Vater hat sehr an Angelina gehangen, für ihn war sie seine wirkliche Mutter. Vielleicht ist das der Grund, weshalb er mich nie kennenlernen wollte. Aber das war hart – furchtbar hart!«
»Ich wünschte, er hätte dich kennengelernt und auch die ganze Geschichte erfahren«, sagte Lucy. »Ich kann nicht behaupten, dass das alles leicht zu akzeptieren ist. Dass mein Vater dein Sohn war. Dass Granny niemals wirklich meine Granny war.«
»Hast du das wirklich nicht gewusst?«
»Nein, wirklich nicht. Er hat nie etwas darüber gesagt. Glaubst du, sie hat es ihm erzählt?«
»Manchmal frage ich mich, ob sie etwas angedeutet, aber nie richtig erklärt hat, wie es dazu gekommen ist. Ich wünsche mir mehr als alles andere, dass ich die Gelegenheit gehabt hätte, ihm die Geschichte zu erzählen, die ich dir erzählt habe.«
»Irgendwie bin ich aber nicht total schockiert. Ich glaube, ein Teil von mir hat schon lange geahnt, dass es da irgendein Geheimnis gibt. Warum hat er es mir wohl nicht erzählt? Sogar Mum wusste es nicht, da bin ich mir sicher. Auch nicht meine Stiefmutter.«
»Sein Tod war für mich ein furchtbarer Schock. Ich kann es immer noch nicht akzeptieren, dass er … nicht mehr da ist. Ich habe immer an ihn gedacht, weißt du. Als er klein war, habe ich ihm Geburtstagskarten und Geschenke geschickt und ihm Briefe geschrieben.«
Lucy hatte nichts dergleichen unter seinen Sachen gefunden und fragte sich, ob Beatrice’ Briefe ihn je erreicht hatte. Vermutlich nicht.
Sie sagte nichts dazu, sondern erzählte, was sie über Tommy gedacht hatte, seit Beatrice den Namen das erste Mal erwähnt hatte. Dass es ihr allmählich gedämmert hatte, wer er war. »Jetzt verstehe ich, warum Dad und Granny sich so unähnlich waren. Das meine ich nicht nur körperlich, sondern auch die Art von Mensch, die sie waren … ihre Persönlichkeiten.«
»Das ist nicht so ungewöhnlich in Familien, oder?«
»Und Granny ist nie sonderlich entspannt mit Dad umgegangen. Da gab es immer eine Angst. Aber auch Liebe, da bin ich mir sicher.«
»Das hoffe ich! Das wäre das Schlimmste überhaupt, wenn sie einander nicht liebgehabt hätten.«
Einen Moment schwiegen sie, dann bat Lucy: »Erzähl mir, wie es dann mit dir und Rafe weitergegangen ist.«
Und nun lächelte Beatrice. »Rafe und ich haben eine wunderbare Ehe geführt«, sagte sie. »Er war wirklich ein fabelhafter Ehemann. Natürlich gab es ein kleines Auf und Ab wie bei allen Paaren, aber wir waren sehr glücklich zusammen. Wir haben eine Tochter – Sara. Schau, das ist sie.«
Beatrice stand auf und holte eine Fotografie, die Lucy nicht bemerkt hatte, weil sie auf einem Regal hinter dem Sessel stand. Es war das Bild einer elegant gekleideten Frau mittleren Alters mit einem klugen, aufgeweckten Gesicht, die auf den Stufen eines Gebäudes stand, das wie ein Bürohaus aussah.
»Sara ist Professorin für Meeresbiologie in Maine«, erklärte Beatrice stolz. »Nächstes Jahr ist es so weit. Dann wird sie emeritiert, und sie hat versprochen, für einen ausgedehnten Besuch herzukommen. Sie hat zwei erwachsene Söhne, und ich bin kürzlich Urgroßmutter geworden!« Sie erhob sich und holte ein Album mit Fotos, auf denen ein dunkelhaariges Paar mit einem winzigen Baby in Mädchenkleidung zu sehen war.
»Wie süß!«, sagte Lucy voller
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