Das Bienenmaedchen
kam der schreckliche Nachmittag von James Sturtons Begräbnis. Die meisten Bewohner des Städtchens waren gekommen, als James auf dem Friedhof auf dem Hügel über Saint Florian beigesetzt wurde, während die Hummeln durch das hohe Gras taumelten. Es war ein schläfriger Nachmittag. Wenn er noch am Leben gewesen wäre, hätte James vielleicht Kricket gespielt oder wäre, unmelodisch vor sich hinpfeifend, durch die Gegend spaziert. Stattdessen wurde er nun zum ewigen Schlaf in die Erde gebettet – lebendig nur in den Gedanken jener, die ihn als tollpatschigen, sechzehnjährigen Jungen mit schiefem Lächeln, Sommersprossen, einer Leidenschaft für Rugby und einer Abneigung gegen jegliches Schulwissen gekannt hatten. Ihre Mutter hatte zu Beatrice gesagt, sie müsse es sich nicht antun, zum Grab zu gehen. Sie ging aber trotzdem hin, um Rafe zu unterstützen. Und als sie hinten in der Menge stand und an all die Dinge im Leben dachte, die Sturton nie sehen oder tun würde, liefen ihr die Tränen über das Gesicht.
Das Leben ging in seiner gefühllosen Weise weiter. Sie spielten gemischte Doppel auf dem Tennisplatz, aber nicht mit Sturtons Schwester. Rafe kam nach The Rowans zum Tee, und Beatrice saß steif vor Angst da, dass ihr Vater grob oder, schlimmer noch, kalt und desinteressiert sein könnte. Aber glücklicherweise sprach selbst er auf Rafes höfliche Freundlichkeit an, auf dessen offenes, schön geschnittenes Gesicht und seine unbeschwerte Sensibilität gegenüber anderen.
»Sie waren im Krieg, Sir?«, fragte Rafe, dessen respektvolles Verhalten aufrichtig war. »Mein Vater ebenfalls.«
»Dein Onkel hat mir erzählt, dass er ein ›Military Cross‹ bekommen hat«, sagte Hugh mit einem Anflug von Neid.
Rafe nickte. »Er hat ein paar Leute aus seinem Zug gerettet, indem er sie durch ein Minenfeld führte. Ich wünschte, ich könnte mich an ihn erinnern, aber das kann ich nicht.«
Beatrice beobachtete interessiert, dass sich ihre Eltern bedeutungsvolle Blicke zuwarfen. Dann sagte ihre Mutter: »Natürlich kannst du dich nicht an ihn erinnern, Rafe. Möchtest du noch etwas Tee?«
»Eure Generation tut mir leid«, sagte Hugh Marlow und nahm die Gurke von seinem Sandwich. »Ein neuer Krieg zieht herauf, du wirst sehen, und der wird noch schlimmer werden als der letzte.«
»Ich hoffe, dass Sie sich irren, Sir«, erwiderte Rafe. Ein Ausdruck der Wachsamkeit erschien auf seinem Gesicht. »Mein Onkel sagt, dass wir uns da heraushalten sollten und dass Herr Hitler nicht daran interessiert ist, gegen uns zu kämpfen.«
Beatrice’ Eltern sahen sich erneut an, und ihre Mutter wirkte beunruhigt.
»Ich glaube nicht, dass das so einfach sein wird«, sagte ihr Vater.
Ihre Mutter strich ihren Rock glatt und schüttelte den Kopf. Beatrice hatte gehört, wie sie sich in ängstlichem Ton über Briefe von den Verwandten in Frankreich unterhielten. Darin war von der Welle von Flüchtlingen die Rede, die durch die Normandie kamen, um per Schiff nach England und Amerika zu gelangen. Und die Briefe erzählten Geschichten von Verfolgung und Grausamkeit, die die Flüchtlinge zusammen mit ihrer kärglichen Habe aus Deutschland mitbrachten.
»Ich glaube, dass dieser Krieg jeden angeht«, sagte Hugh Marlow feierlich. »England erwartet von jedem Mann, dass er seine Pflicht tut.« Er schob seinen Stuhl zurück, ging zum Barometer an der Wand und klopfte mit dem Knöchel dagegen. »Hochdruck«, sagte er. Rafe sah ihm zu und gab klugerweise keine Bemerkung von sich.
Aber er ließ das Thema auch nicht ruhen. An einem anderen Tag, als sie beide mit Jinx am Strand spazieren gingen, fragte er Beatrice: »Glaubst du, dein Vater hat recht?«
»Was würdest du tun, wenn es einen Krieg gäbe und du alt genug wärest, um zu kämpfen?«
»Ich würde kämpfen«, antwortete er und richtete sich auf. Plötzlich sah er älter aus als sechzehn. Und da war ein seltsamer Glanz in seinen Augen, der sie schaudern ließ. Als er ihre Miene sah, fügte er hinzu: »Aber mach dir keine Sorgen. Mein Onkel sagt, Mr Chamberlain wird die Sache in Ordnung bringen. Du wirst sehen.« Er hob einen Stock auf und schleuderte ihn über den Strand, damit Jinx hinterherjagen konnte.
Beatrice sah ihm nach, wie er hinter dem Hund herstürmte. Seine langen Beine waren geschmeidig und golden, sein Hemd war aufgeknöpft und flatterte hinter ihm wie Flügel. Sie mochte es, ihn genau zu studieren, wenn er in der Sonne döste. Dann prägte sie sich die Farbe seines Haares
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