Das Bienenmaedchen
mir die Museen anschauen«, antwortete sie. Sie wusste genau, was er meinte, war sich aber nicht sicher, aus welchem Grund er diese Frage gestellt hatte.
»Ich meine, warum bist du zu uns gekommen? Du weißt, dass Mutter etwas im Schilde führt.«
»Ja, das weiß ich«, sagte Beatrice und wischte sich die Finger mit ihrem Taschentuch ab. »Aber das ist in Ordnung – ich kann mit ihr umgehen.«
»Gott sei Dank kannst du das! Aber wir sind nicht gut für dich. Keiner von uns.«
»Du hast das schon mal gesagt«, sagte sie hitzig. »Sei nicht albern!«
»Nein, ich meine es ernst! Du bist zu nett für uns Wincantons, Bea.«
»Oh, herzlichen Dank!«
Nach diesem Gespräch waren beide ein wenig verstimmt, und so wechselten sie auf der Fahrt zur Exhibition Road kaum ein Wort miteinander. Beatrice sah aus dem Fenster und dachte darüber nach, wie ruhig und normal alles wirkte. Sie hatte damit gerechnet, dass die Menschen voller Angst waren und es mehr Anzeichen dafür gab, dass sie jeden Tag mit der Invasion rechneten. Aber abgesehen von den allgegenwärtigen Sandsäcken deutete kaum etwas darauf hin – nur das Verdunklungspapier oder merkwürdige, mit Brettern vernagelte Fenster ließen vermuten, dass dieses Weihnachtsfest nicht war wie jedes andere. Ab und zu sah sie Männer in Uniform, aber nicht so viele, wie man hätte erwarten können. Manchmal erhaschte sie einen flüchtigen Blick auf jemanden, der von hinten wie Rafe aussah, und wünschte, er würde sich umdrehen, damit sie sein Gesicht sehen konnte. Aber jedes Mal, wenn das geschah, wurde sie enttäuscht. Warum hatte Rafe nicht auf ihren Brief geantwortet? War er irgendwo anders hin versetzt worden?
Als sie Knightsbridge erreichten, ging ein Graupelschauer nieder. Mit einem Gefühl unbeschreiblicher Melancholie beobachtete Beatrice, wie die Klümpchen aus schmelzendem Schnee an der Scheibe nach unten glitten.
Das Museum munterte sie auf. Es war einfach herrlich, als sie gemeinsam durch die Ausstellungsräume schlenderten. Peter war in seiner eigenen Welt. Er studierte die Objekte und las die Aufschriften, während sie in einer Art angenehmer Betäubung hinter ihm hertrottete. Kurz vor drei verließen sie das Museum und stellten fest, dass der Graupel schlimmer geworden war. Als sie die Treppe hinuntergingen, rutschte Beatrice im Matsch aus und fiel hin. Dabei schrammte sie sich an der scharfen Steinkante das Bein auf.
»Alles in Ordnung?«, fragte Peter und half ihr hoch.
»Ich glaub schon«, antwortete sie und untersuchte ihre Wade. »Verdammt!« Ihr Strumpf war zerrissen, und die Schürfwunde darunter fing schon an zu brennen und zu bluten.
»Oje«, sagte Peter, zu jung und unerfahren, um zu wissen, was in einem solchen Fall zu tun war. »Sag mal, willst du wirklich damit zu Madame Tussauds? Wir können jederzeit nach Hause gehen, weißt du. Von hier aus ist es nicht weit.«
Beatrice besah sich noch einmal ihr Bein, um festzustellen, ob der Riss sehr ins Auge fiel, und befand, dass es so war.
»Wir könnten ein Taxi nehmen«, schlug Peter beklommen vor. »Mutter hat mir genug Geld mitgegeben.«
»Ja, ich spring dann rasch hinein und ziehe andere Strümpfe an«, sagte Beatrice. Dann würde sie auch erfahren, ob Rafe angerufen hatte, und wenn nicht … es wäre erbärmlich, zu Hause zu sitzen und zu lauschen, ob das Telefon klingelte. »Ich möchte unbedingt noch die Wachsfiguren sehen.«
Das Taxi hielt draußen vor dem Haus in Queen’s Gate.
»Ich warte hier auf dich, okay?«, sagte Peter.
Beatrice humpelte die Treppe hinauf. Zu klopfen brauchte sie nicht, weil das Dienstmädchen das Taxi gesehen und auf der Stelle die Tür geöffnet hatte. Auf dem schlauen, kleinen Gesicht lag ein neugieriger Ausdruck.
»Ich bin gleich wieder weg«, teilte Beatrice dem Mädchen mit, das ihren Mantel in Empfang nahm. Es kam ihr vor, als hätte das Dienstmädchen etwas sagen wollen, es dann aber doch nicht getan.
Sie ging nach oben ins Badezimmer und behandelte ihre Schürfwunde, die größer war, als sie gedacht hatte. Zumindest blutete sie nicht mehr. Glücklicherweise fand sie in einem Schrank eine Rolle Pflaster. Ihr Strumpf sah aus, als könne man ihn flicken. Sie wusch ihn aus und hängte ihn über den Stuhl in ihrem Schlafzimmer. Dann nahm sie einen sauberen Strumpf aus ihrem Koffer. Die ganze Zeit über begleitete sie ein schreckliches Gefühl des Unbehagens.
Erst als sie die Treppe wieder hinunterkam, fiel ihr der Militärmantel auf, der am Ständer
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