Das Bienenmaedchen
war, Realität verleihen würde. Vielleicht war das alles ja nur ein Traum, schalt sie sich heftig, oder vielleicht hatte die ganze Sache überhaupt nichts zu bedeuten. Für Angie mochte das gelten – das wäre typisch für sie –, aber Beatrice spürte instinktiv, dass Rafe nicht leichtfertig gehandelt hätte.
Im Augenblick schien sich Angelina mehr daran zu stören, dass ihre Mutter den Ausflug ins »Quaglino’s« verboten hatte. Mit einem Seufzer warf sie ihre Zeitschrift auf den Boden.
»Ich bin mir ganz sicher, dass Richard Bestbridge nicht die Art von Gesellschaft ist, die Mrs Marlow als passend für ihre Tochter erachten würde«, äffte Angie ihre Mutter nach.
Wenn Beatrice es richtig verstanden hatte, war der Grund für das Verbot komplizierter. Angies Mutter hatte Karten für das Stück von Priestley gekauft und vorher zum Abendessen einen Tisch für alle reserviert.
Angie gähnte. »Entschuldigung«, sagte sie. »Ich weiß nicht, warum ich so müde bin. Muss der Gedanke an Musik in der Nacht sein. Wie war’s vorhin mit Peter? Hat er dich zu Tode gelangweilt?«
»Ganz und gar nicht«, erwiderte Beatrice ein wenig steif. »Er weiß so viel. Man fühlt sich sehr demütig.«
Wie in Trance ging sie nach oben. Normalerweise hätte sie sich sehr auf das Stück gefreut, aber nicht an diesem Abend. Sie gelangten irgendwie in das Theater, aber Beatrice nahm kaum ein Wort wahr. Sie hatte eine dramatischere Szene vor Augen: Angie, Rafe, diese verschränkten Hände, der bewundernde Gesichtsausdruck von Rafe … Ja, er hatte Angie angehimmelt, das wusste Beatrice jetzt. Das Bild wirbelte immer wieder in ihrem Kopf herum. Ihr wurde übel.
»Geht es dir gut, Beatrice?«, fragte Oenone Wincanton sie in der Pause. »Du siehst blass aus.«
»Ich bin nur ein bisschen müde«, log sie. »Ich genieße es wirklich.«
Als sie zu Bett ging, schloss sie wieder ihre Tür ab. Das Letzte, was sie wollte, war, dass Angelina kommen und sie mit Fragen und Vertraulichkeiten überschütten würde. Lange lag sie wach. Unten wurden Türen geöffnet und geschlossen. Dann hörte sie Schritte und tiefe männliche Stimmen, anschließend Oenones Lachen. Sie musste eingenickt sein, denn als sie wach wurde, hörte sie, wie die Eingangstür laut und endgültig zugeschlagen wurde. Noch mehr Schritte, alle gingen zu Bett, dann herrschten Dunkelheit und Stille. Nein, sie vernahm ein leises Geräusch. Da war es wieder! Jemand drückte auf die Klinke der Tür zu ihrem Zimmer.
»Beatrice?« Eine männliche Stimme. Leise. Sie sagte nichts und wartete ängstlich darauf, dass er – wer auch immer es war – sich entfernte. Schließlich knarrten die Holzdielen, und irgendwo in der Nähe schloss sich eine Tür. Beatrice brauchte lange, um Schlaf zu finden, und dann schlief sie unruhig.
Sie stand früh auf, packte und reiste vor dem Frühstück ab. Der Brief, den sie Mrs Wincanton hinterließ, war kurz, aber höflich. Ihre Entschuldigung klang allerdings wenig überzeugend. Sie habe das Gefühl, schrieb sie, sie müsse nach Hause fahren, weil sie ihre Eltern monatelang nicht gesehen hatte.
Man gab sich gegenseitig die Schuld. Mrs Wincanton schrieb einen gekränkten Brief an ihre Mutter und erklärte darin, sie hoffe, dass sie Beatrice nicht beleidigt hätten. Mrs Marlow schrieb zurück und entschuldigte sich für Beatrice’ Unhöflichkeit und lastete es der Überforderung ihrer Tochter an, die diese verdrießlich gemacht habe.
Dann, einen Tag vor Weihnachten, bekam Beatrice einen Brief von Rafe. Sie nahm ihn mit nach oben und las ihn in ihrem Zimmer. Ihre Tränen tropften auf das Papier.
KAPITEL 13
An Weihnachten war sie die ganze Zeit über nicht sie selbst. Am ersten Weihnachtstag vollzogen sich in Saint Florian die üblichen Rituale. Beatrice’ Mutter besuchte die Frühmesse in der katholischen Kirche und nahm anschließend mit ihrem Mann und ihrer Tochter am anglikanischen Gottesdienst teil. Dann machte ihr Vater einen Aufstand wegen der beiden Fasanen, die ihm Colonel Brooker geschenkt hatte. Mr Marlow bestand darauf, dass seine Frau die Vögel mit aller Vorsicht zerlegte und die Schrotkugeln heraussuchte. Beatrice kniff sich in die Innenfläche ihrer Hand und lauschte seiner quengeligen Stimme mit zunehmendem Ärger. Was kümmerte sie das Essen, wo ihre Welt zusammengebrochen war?
»Könntest du bitte ein bisschen fröhlicher dreinschauen?«, fragte ihr Vater, während er sich von den berühmten Herzoginkartoffeln seiner Frau nahm.
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