Das Bienenmaedchen
Wincanton gegenüber nicht fair, aber Angies Kälte hatte Beatrice tief verletzt.
Wenigstens würde sie vielleicht etwas über Rafe erfahren. Als sie an ihn dachte, stieg eine ungeheure Sehnsucht in ihr auf. Oenone und sie betraten den Salon, und da war sie, die entzückende Angie, in bernsteinfarbenem Samt leuchtend wie eine Göttin. Freundlich gurrend bewunderte sie das neue Kleid ihrer Freundin, und Beatrice verzieh ihr sogleich ihre frühere Unhöflichkeit. Dann trat eine hagere, dunkle Gestalt aus dem Schatten der Bücherwände. Peter.
»Hallo, Beatrice«, grüßte er sie und streckte die Hand aus. Er war größer, als sie ihn in Erinnerung hatte, obwohl er nie wirklich groß gewachsen sein würde. Es war wie immer: Er sah sie kurz an und wandte dann rasch die Augen ab. Die alte nervöse Angewohnheit.
»Wie geht’s dir, Peter?«, fragte sie mit den üblichen Gefühlen – Mitleid und Vorsicht.
»Nicht schlecht«, antwortete er. »Ich hab gar nicht mit dir gerechnet. Was für eine Überraschung!«
Sie wusste nicht, ob es eine schöne Überraschung für ihn war oder nicht, entschied sich aber dafür, optimistisch zu sein.
»Deine Mutter war so freundlich, mich einzuladen«, erklärte sie. »Es ist mein erster richtiger Besuch in London, weißt du.«
»Beim Jupiter, wirklich!«, sagte er und wurde munterer. »Soll ich dich morgen ein bisschen rumführen? Viele Museen sind wieder auf, wie du vielleicht gehört hast. Einige der besten Bilder haben sie allerdings irgendwo in Sicherheit gebracht.«
»Danke«, erwiderte sie höflich. Sie war sich nicht sicher, ob sie das Angebot annehmen sollte oder nicht. Sie hätte dann immer noch den ganzen zweiten Tag, falls sich die Möglichkeit ergäbe, Rafe zu sehen. Wenn er überhaupt in der Stadt war … was wohl nicht sehr wahrscheinlich war. Sie sah zu Angie und ihrer Mutter hinüber. »Habt ihr was Bestimmtes vor mit mir, oder soll ich mit Peter gehen?«
Angie zuckte mit den Schultern. »Ist mir egal. Ich hab morgen Vormittag eine Kleideranprobe, und Mummy, ich muss unbedingt mit Felicity Wheeler zu Mittag essen, sonst wird sie mich künftig ignorieren. Ich hab sie schon dreimal versetzt.«
»Also, wenn es Beatrice nichts ausmacht«, sagte Oenone ein wenig zweifelnd. »Ich fürchte, Peter ist ein ziemlicher Langweiler, wenn es um Gemälde und solche Dinge geht, Beatrice.«
»All diese alten italienischen Meister«, spöttelte Angie. »Entweder fromm rollende Augen oder Folterszenen.«
»Sie sind nicht alle so«, sagte Peter. »Es gibt auch modernere Gemälde.« Er wandte sich an Beatrice und fragte mit offensichtlicher Ironie: »Wird es dich langweilen?«
»Ganz bestimmt nicht«, antwortete sie rasch, »obwohl Tante Julia gesagt hat, ich solle mir unbedingt Madame Tussauds ansehen.«
»Ach Gottchen, wirklich? Nun, wenn du musst. Vielleicht am Nachmittag, wenn du von der hohen Kunst genug hast.«
»Die Schreckenskammer«, stöhnte Angie. »Noch mehr Folterszenen!«
»Bloß, weil du nur Bilder mit hübschen Landschaften und Tieren magst.«
»Und was ist daran falsch?«
Dieses Gezänk ging weiter, bis das Dienstmädchen erschien und sagte, das Dinner sei bereit.
Die Atmosphäre beim Abendessen war ebenso zerbrechlich wie die Kristallgläser. Hier in London lebten die Wincantons offenbar förmlicher als in Cornwall, obwohl das Essen nichts Besonderes war. Auf eine klare Suppe, die wie fettiges Wasser aussah und schmeckte, folgte zu stark gebratenes Rindfleisch – Mrs Wincanton beklagte sich über die salzige Bratensoße –, und wer auch immer den Apfelkuchen gebacken hatte, verstand nicht allzu viel davon. Die geliebte Mrs Pargeter, so erfuhr Beatrice, war in Cornwall geblieben, und die Wincantons hatten derzeit in London keinen richtigen Koch. Der alte hatte sie in einem Anfall von Patriotismus verlassen, um die Flugzeuge zu bauen, die Ed in Sussex flog. Es war der einzige Moment während des Essens, in dem sie alle in Herzlichkeit miteinander vereint waren: Sie sprachen über Ed, seine Furchtlosigkeit, seine jüngste Beförderung und darüber, wie sehr sie sich um seine Sicherheit sorgten.
Sie hatten sich gerade vom Tisch erhoben, als Mr Wincanton nach Hause kam. Offenbar hatte er in seinem Club zu Abend gegessen. Seine Erscheinung – robust und männlich, umgeben von einer Wolke aus Tabakdunst und mit einer glanzvollen Aura von Macht und Geheimnis – berührte jeden der im Salon Anwesenden auf unterschiedliche Weise.
Mrs Wincanton, die Kaffee
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