Das Bienenmaedchen
die anderen Mädchen die »Komm mir nicht zu nah!«-Aura zu respektieren, die Beatrice um sich gewoben hatte.
Der Winter ging in den Frühling über, doch durch ihren Schleier aus Kummer nahm sie es kaum wahr. Ein weiterer Brief von Rafe traf ein, in dem dieser Angies Anmut pries. Beatrice konnte sich nicht dazu überwinden, ihm zu antworten – hatte er denn wirklich keine Ahnung, wie tief er sie verletzt hatte?
Kurz vor Ostern kam ein Brief von Angelina. Als Beatrice ihn las, empfand sie nichts. Ein Teil von ihr hatte es die ganze Zeit erwartet. Rafes Regiment war ins Ausland verlegt worden, schrieb Angelina – nach Frankreich, glaubte sie. Vor seiner Einschiffung hatte er sie gefragt, ob sie ihn heiraten wolle. Vielleicht, hatte sie ihm geantwortet, aber sie habe sich noch nicht entschieden.
Beatrice’ Zorn wuchs langsam, aber stetig. Angie ging offenbar mit etwas so Ernstem wie einem Heiratsantrag so leicht um, als handele es sich um eine Einladung zum Tee. Noch schlimmer war das Wissen, dass Rafe möglicherweise an vorderster Front kämpfte. Und Beatrice konnte nichts tun, als zu hoffen und zu beten, dass es ihm gut ging. Sie überlegte, ob sie ihm über das Regiment schreiben sollte, und machte auch tatsächlich zweimal den Versuch. Aber sie stellte fest, dass sie ihren Ärger nicht zurückhalten konnte. Und Vorwürfe von ihr konnte er im Moment wohl gar nicht gebrauchen.
Zwei Wochen nach Ostern trafen nach und nach wichtige Nachrichten aus Europa ein. Der Krieg hatte schließlich begonnen, und er verlief nicht gut für die Alliierten.
Hitler fiel in Norwegen ein. Im Mai drangen seine Truppen nach Belgien und Holland vor. Alliierte Truppen flohen nach Dünkirchen und wurden von einer heldenhaften Flottille aus kleinen Booten gerettet. Frankreich lag offen da für den vorrückenden Feind, seine Grenzen waren nicht ausreichend geschützt. Am Ende wurden sie mühelos überrannt. Am 22. Juni 1940 ergab sich Frankreich dem Feind.
Delphine litt entsetzlich. Ihre Briefe an Beatrice waren lange, fahrige Kritzeleien, die ihre Angst um ihre Familie und ihre Verzweiflung über das Ausbleiben von Nachrichten verrieten. Beatrice war ebenfalls besorgt. Sie dachte nicht nur an Rafe – wo auch immer er sein mochte –, sondern auch an das schutzlose alte Paar, an ihre Großeltern in dem abgelegenen Bauernhof in der Normandie. Pappi war bekanntermaßen reizbar und wäre, wie ihre Mutter schrieb, durchaus imstande, nach seinem Gewehr zu greifen, wenn er erregt war. Dabei hätte er keine Chance gegen die deutschen Soldaten. Wenigstens waren seine Söhne, Delphines Brüder, in der Nähe.
Die Prüfungen rückten drohend näher. Irgendwie brachte Beatrice ein bisschen Konzentration auf und bestand sie. Noch zweieinhalb Wochen bis zu den Sommerferien. Sie wusste immer noch nicht, was sie mit sich anfangen sollte. Ihre Eltern erwarteten, dass sie nach Hause kam und die Ferien in Saint Florian verbrachte – aber wozu? Um an dem erstickenden Leben der beiden, die in den Rollen des Invaliden und seiner Krankenschwester gefangen waren, teilzunehmen? Mit dem Wissen, dass die Straße hinauf Carlyon Manor lag, mit all seinen Erinnerungen und enttäuschten Hoffnungen? Nach Hause zu gehen bedeutete, rückwärtszugehen. Einen ganzen Sommer lang, und dann zurück nach Larchmont für das Abschlussjahr. Und wozu das Ganze, wenn die Zukunft so trostlos und so unsicher war? Sie sehnte sich danach, etwas Nützliches zu tun, nicht zuletzt etwas, das ihren Geist in Anspruch nahm.
Zwei Wochen vor Ende des Schuljahres erreichten sie Neuigkeiten – in einem Brief von Angelina. Beatrice nahm ihn mit nach draußen und setzte sich auf das schräge Dach des Luftschutzbunkers in die Sonne, um ihn zu lesen, war aber anfangs nicht in der Lage zu begreifen, was darin stand.
»Ich denke mir, dass du es sofort erfahren möchtest« , hatte Angelina geschrieben. »Rafe wird vermisst.«
Mit einem Schlag stürzte sie noch tiefer ins Elend. Niemand wusste, ob Rafe noch lebte oder tot war. In dem Durcheinander nach dem Fall von Frankreich konnte kaum jemand sagen, was aus den vielen gestrandeten Soldaten geworden war. Es blieb nichts anderes übrig, als auf neue Nachrichten zu warten.
Warten. Als Deutschland Europa vor den Alliierten abriegelte und italienische Truppen nach Nordafrika strömten, war Großbritannien isoliert. Die Angst vor einer Invasion lastete auf allen. Und was Beatrice betraf – was hätte ein siebzehnjähriges Schulmädchen schon
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