Das Bienenmaedchen
anderes. Wo wohnen Sie?«
»Im Moment wohne ich bei meiner Tante, draußen in Micklehurst«, antwortete er. Das Dorf lag nur ein paar Meilen entfernt. »Zu Hause bin ich allerdings in Coventry.«
»Coventry? Wo haben Sie denn dann reiten gelernt?«
»Mein Großvater hatte einen Bauernhof in der Nähe von Micklehurst. Meine Schwester und ich waren oft bei ihm und sind auf seinen Pferden geritten.«
Nach und nach gelang es ihr, sich ein Bild von seiner Biografie zu machen. Sein Vater war ein Domherr an der Kathedrale von Coventry. Stuart hatte eigentlich vorgehabt, nach Cambridge zu gehen und Jura zu studieren, aber dann war der Krieg gekommen und er war stattdessen in die Armee eingetreten. Nach drei Monaten Ausbildung war er wegen Verdacht auf Tuberkulose zurückgestellt worden. Und nun war er hier – und »hing in der Luft«, wie er es ausdrückte. Man hatte ihn nicht aus der Armee entlassen, aber er war auch nicht in der Lage, aktiv mitzuwirken.
»Ein paar Monate Bettruhe, und dann haben sie entschieden, dass die Arbeit hier das Beste für mich wäre. Das gesunde Landleben. Kann nicht behaupten, dass es das ist, wofür ich mich gemeldet habe. Nicht, wenn das Land in solch einem Loch steckt. Sie sind bis jetzt das Beste, was mir hier begegnet ist, wissen Sie?«
Er war nett, dachte Beatrice, und sie genoss seine Aufmerksamkeit.
»Sagen Sie«, fragte Stuart, als sie Lavender Cottage erreicht hatten. »Sie würden nicht mal mit mir ausgehen? Nächsten Samstag findet in unserem Gemeindesaal eine Tanzveranstaltung statt.«
Beatrice verspürte einen schmerzhaften Widerwillen, aber er sah sie so flehend an, dass sie am Ende Ja sagte.
Gemeinsam mit Miss Warrender hörte sie an diesem Abend nach dem Essen die Nachrichten. Alles drehte sich um die Flugzeuge, die hoch am Himmel für Großbritanniens Herz und Seele kämpften. In einem saß vielleicht Ed – Beatrice hoffte, dass dem nicht so war. In ihrem Hinterkopf fragte sie sich ständig, ob Rafe wohlauf war. Laut Angelinas letztem Brief hatte man nichts mehr von ihm gehört. In dem gleichen Brief hatte Angelina Beatrice auch mitgeteilt, dass sie vorhatte, sich den »Wrens«, den Angehörigen des Königlichen Marinediensts der Frauen, anzuschließen.
Miss Warrender war damit beschäftigt, sich aus einer sommerlich gemusterten Gardine ein formloses Kleidungsstück zu nähen.
»Scheint ein sympathischer junger Mann zu sein«, lautete ihr Kommentar über Stuart, als Beatrice ihr von der Tanzveranstaltung erzählte. »Ich muss aber darauf bestehen, dass du um elf wieder da bist. Deine Eltern würden sich sonst Sorgen machen.«
Beatrice wusste, dass Miss Warrender nur ihre Pflicht tat, doch sie spürte, dass sie hier, am Ende der Welt, allmählich unruhig wurde. Als sie vor fast zwei Monaten hergekommen war, hatte es ihren Bedürfnissen entsprochen. Nun jedoch begann sie sich zu fragen, wohin das alles führte.
Sie ging mit Stuart zum Tanzen. Miss Warrender half ihr, eines ihrer langen Kleider zu kürzen, und lieh ihr ein Fahrrad. Es war ein Ungeheuer von einem Vehikel mit einem quietschenden Hinterrad, das ihre Anwesenheit verkündete, als sie durch die Wälder und Felder fuhr, um sich mit Stuart zu treffen. Der Saal war brechend voll von Leuten aus der näheren Umgebung. Alles trank und tanzte, lachte und verliebte sich.
»Niemand würde glauben, dass wir mitten im Krieg sind«, rief Stuart einem schwitzenden jungen Matrosen zu, der eine Bemerkung über den Menschenandrang gemacht hatte.
»Das ist, weil wir mitten im Krieg sind, Kumpel!«, rief der andere zurück. »Wir werden’s ihnen zeigen!« Er boxte in die Luft. Mit »ihnen« waren natürlich die Deutschen gemeint. Inzwischen rechnete man täglich damit, dass sie mit Messern zwischen den Zähnen Englands weiße Klippen erklommen.
Der August war fast vorüber, und die Landstraßen waren übersät mit staubigem Stroh von der Ernte. Sunny, das graue Pony, Pipp und Wilfred, die Zugpferde, waren schon vor mehreren Wochen abgeholt worden. Es hatte Beatrice fast das Herz gebrochen, als sie sich von ihnen verabschieden musste. Sie hatte ihren Anhänger bis zum Bahnhof begleitet und die Pferde die Rampe zum Güterwaggon hochgetrieben. »Sie kommen nach Liverpool«, hatte der Schaffner ihr gesagt, während er die Türen zuzog. Beatrice hatte sich mit einem Seufzer abgewandt. Die Docks also und dann ins Ausland – wer wusste, wohin.
Auch Sarah war fort. Mitte August, so erzählte ihr Captain Browning, war ein Mann
Weitere Kostenlose Bücher