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Das Bienenmaedchen

Das Bienenmaedchen

Titel: Das Bienenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
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an.
    »Zum Fluss runter, was meinst du, falls wir da durchkommen?«
    Sie fuhr langsam vorwärts und bog in eine Nebenstraße ein. Das Licht der schwachen Frontscheinwerfer fiel auf Laternenpfähle und auf einen Briefkasten, der mit weißer Farbe beschmiert war. Sie kamen auf eine breitere Schnellstraße, der sie eine Zeitlang folgen konnten, dann bogen sie nach links ab in Richtung Fluss. Vor ihnen warf ein brennendes Gebäude ein tanzendes Licht auf die Straße.
    »Pass auf!«, schrie Mary, und Beatrice trat scharf auf die Bremse. Vor ihnen befand sich ein großer Krater. Sie stiegen aus. Beatrice nahm ihre Taschenlampe und richtete den Strahl nach unten in den Krater. Ein Taxi war hineingekippt und lag dort unten mit den Rädern nach oben, wie ein großes totes Insekt. Die Fahrertür war offen. Sie riefen nach unten, doch offenbar befand sich niemand mehr in dem Wagen.
    »Wir könnten ungefähr hier um das Loch rumfahren«, sagte Beatrice, die mit dem Strahl der Taschenlampe den Bürgersteig absuchte.
    Die beiden kehrten zu dem Wagen zurück. Beatrice kurbelte das Seitenfenster herunter, um zu kontrollieren, wie nahe sie dem Krater waren, während sie auf den Bordstein rollten und dann vorsichtig an dem Loch vorbeifuhren.
    Ein Stück weiter erreichten sie einen Schauplatz verzweifelter Aktivität. Eine Trage wurde gerade in einen Krankenwagen gehoben. Am Straßenrand lagen mehrere Leichen, die halb mit Wolldecken zugedeckt waren. Wenigstens eine von ihnen, erkannte Beatrice mit Bestürzung, war die eines Kindes. Feuerwehrmänner bekämpften die Flammen mit starken Wasserstrahlen, und ein paar Leute durchsuchten die Trümmer. Ein Luftschutzhelfer gab ihnen mit Gesten zu verstehen, dass sie weiterfahren sollten, und Mary öffnete das Fenster an ihrer Seite, um mit ihm zu sprechen. Irgendwo rief ein Mann verzweifelt: »Mrs Cardew? Mrs Cardew!«
    Wenig später erreichten sie den nächsten Schutzraum, hielten vor dem Eingang und machten sich daran, Wasser zu erhitzen und Sandwiches zu schneiden. Mary ging zurück, um die Rettungskräfte zu versorgen, während Beatrice die Menschenschlange vor dem Schutzraum bediente. Überall rieselte Zementstaub wie Schnee auf die Köpfe und Schultern der Leute. Nicht weit vom Eingang zu dem Luftschutzkeller sah Beatrice zwei Brauereipferde, die so stoisch dastanden wie Pipp und Wilfred. Sie fraßen aus ihren Futterbeuteln und ließen sich von dem Tumult um sie herum kaum beeindrucken.
    »Sollen wir weiterfahren?«
    Um halb elf war der Himmel immer noch ruhig und klar, und die Menschenschlangen hatten sich aufgelöst. Beatrice und Mary packten die Sachen in ihrem Transporter zusammen und machten sich auf dem Weg zum letzten Luftschutzkeller auf ihrer nächtlichen Rundfahrt. Ab und zu hielten sie an, um Rettungsmannschaften mit Nahrung und Getränken zu versorgen. Manchmal stießen sie auf eine unbefahrbare Straße, und Beatrice musste den Wagen in der Dunkelheit wenden und eine andere Route suchen. Der Strom war ausgefallen, es gab keine Straßenschilder und wegen der Bombeneinschläge sah sowieso alles anders aus. In dieser Situation konnte man sich leicht verirren, wenn man keinen guten Riecher für die richtige Richtung hatte – eine der Fähigkeiten, die sich Beatrice hatte rasch aneignen müssen.
    Es gab auch anderes, was sie gelernt hatte: bei einem Notfall die Ruhe zu bewahren, sich zusammenzunehmen und inmitten von Grauen und einem Blutbad weiterzumachen – und sie hatte manche schrecklichen Dinge gesehen. Bei alledem war ihr bewusst geworden, dass sie den großen Wunsch hatte, Menschen zu helfen, und eine ungeheure Loyalität gegenüber dieser Gemeinschaft empfand, die jede Nacht die entsetzliche Erfahrung von Tod und Zerstörung ertragen musste. Wenn sie Zeit zum Nachdenken hatte – was selten vorkam –, blickte sie voller Verwunderung auf ihr Leben in der Schule zurück. Das war noch nicht sehr lange her, aber es kam ihr vor, als sei sie damals ein anderer Mensch gewesen.
    Gegen fünf Uhr in der Früh, als es immer noch dunkel war, kamen die ersten Leute, um sich für das Frühstück anzustellen. Erst um sieben konnten die beiden Mädchen die Kantine neben der Sanitätswache in der Mile End Road verlassen. Sie hielten einen Bus an, der sie nach Hause zu einem Wohnheim der Flugverkehrsdienste in Bloomsbury brachte. Dort angekommen, wankten sie die Stufen zu ihrem Zimmer hoch, das sie sich mit zwei anderen jungen Frauen teilten, die schon aufgestanden waren und das Haus

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