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Das Bienenmaedchen

Das Bienenmaedchen

Titel: Das Bienenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
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Schutzraum, Deckung gesucht. Aber sie kam einfach nicht mit seiner Weite zurecht, geschweige denn mit dem Furcht erregenden Anblick der Tausenden Menschen, die sie wahrnahm, sobald ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Die Leute warteten ruhig im Bauch des Lagerhauses, lauschten dem donnernden Einschlag der Bomben und hörten zu, wie die Gebäude draußen knackend und krachend in sich zusammenfielen.
    Beatrice konnte sie nun auch in dem Halbdunkel ausmachen, wie sie auf Decken und Matratzen zwischen ihren Habseligkeiten lagen, über sich die Rippen der Gewölbe, die sich in Reihen bis außerhalb ihres Blickfeldes erstreckten. Noch vor ein paar Monaten, als sie in Leicestershire auf dem Land gelebt hatte, hätte sie sich so etwas auch nicht in ihren wildesten Fantasien ausmalen können. Es war zwar erst acht Uhr abends, aber einige Leute schliefen schon. Andere verbrachten die Zeit mit Stricken oder Lesen – manche starrten auch nur einfach ins Leere. Ein paar jüngere Leute spielten Karten und unterhielten sich leise miteinander. Wenn sie beim Spiel doch einmal zu laut wurden, forderte sie sofort irgendjemand auf, still zu sein.
    Vor Kurzem hatte jemand einmal in der Mitte der großen Halle eine Art Cabaret mit einem Akkordeonspieler und einem tanzenden Mädchen auf die Beine gestellt. Doch die düstere Atmosphäre dieses Ortes hatte sich wohl als Missfallen bemerkbar gemacht. Die Vorstellung war schwach, und nach einer halben Stunde packten sie wieder ein. Jeder, der durch die Gänge kam, um zu den Latrinen zu gehen oder einen Freund zu besuchen, tat dies leise und mit gesenktem Kopf. Hier wurde nicht gescherzt, und es gab auch kein gemeinschaftliches Singen wie in anderen Schutzräumen. Beatrice vermutete, dass es etwas mit den gigantischen Ausmaßen des Gebäudes zu tun hatte: Es war wie ein riesiges Mausoleum, das jede menschliche Hoffnung und jedes Lachen unterdrückte. Die Menschen hatten das Lagerhaus von den Eigentümern als sicheren Ort beansprucht, aber obwohl es geruhte, seine Einsamkeit mit ihnen zu teilen, übte es keinerlei Nachsicht.
    Mary saß neben Beatrice an der Wand. Sie hatte den Kopf nach hinten gelehnt, und ihr vollkommenes Profil hob sich schwach in der Dunkelheit ab. Ihre Augen waren geschlossen, und zum Schutz gegen die Kälte presste sie ihren Mantel mit verschränkten Armen dicht an ihren gertenschlanken Körper. Niemand konnte Mary anschauen und bezweifeln, dass sie nur achtzehn Monate zuvor – in einem anderen London – als heiße Kandidatin für die Wahl zur Debütantin des Jahres gehandelt worden war. Und nun, schaut sie euch an!, dachte Beatrice mit einem liebevollen Lächeln und betrachtete Mary, die sich mit Ruß auf der Nase in Armeehose präsentierte, während ein Helm an ihrem Arm baumelte.
    Wie von selbst wanderten Beatrice’ Gedanken weiter zu Angelina. Natürlich hatte sie sich mit ihr getroffen, kurz nachdem sie den schrecklichen Brief über Ed erhalten hatte: Sie hatte sich ein paar Tage Urlaub vom Remontehof genommen und war mit dem Zug nach London gefahren.
    Es war ihr schwergefallen – sehr schwer –, die Stufen zu dem Haus in Queen’s Gate hochzugehen und an der Tür zu läuten. Nicht nur, weil es jetzt ein Trauerhaus war, sondern weil es sich hier eine solch schmerzhafte Szene abgespielt hatte, als sie zum letzen Mal hier gewesen war. Das alles war neun Monate her, aber die Welt hatte sich in vielerlei Hinsicht verändert. Das Einzige, was sich nicht verändert hatte, waren ihre Gefühle für Rafe. Als sie darauf wartete, dass die Tür geöffnet wurde, durchlebte sie noch einmal jenen schrecklichen Moment der Erkenntnis, als wäre es gestern gewesen. Doch dann ging die Tür auf, und beim Anblick von Angelinas schmerzerfülltem Gesicht fühlte sie keine Eifersucht, nur Mitleid.
    »Oh Bea, du bist gekommen, Gott sei Dank!«, sagte Angelina, breitete die Arme aus und klammerte sich an Beatrice fest. Ihr Haar war schlaff und ungewaschen, ihr Gesicht fleckig vom Weinen. Sie roch immer noch schwach nach Äpfeln. Es war die alte Angelina: diejenige, mit der sie aufgewachsen war und die sie liebte, diejenige, die sie brauchte.
    »Natürlich bin ich gekommen«, sagte Beatrice, umarmte sie und brach in Tränen aus. »Natürlich. Angie, es tut mir so leid. Der arme, arme Ed!«
    Oenone stand im Salon an einem der Fenster und sah mit leerem Gesichtsausdruck zu, wie ein paar Kinder auf der Straße Himmel und Hölle spielten. Beatrice ging zögernd auf sie zu und

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